„Wenn wir an die Kinder glauben, dann glauben sie auch an sich selbst“

Ilkay Idiskut ist seit 2012 als Volksschullehrerin tätig. Sie arbeitete bereits in verschiedenen Bezirken Wiens, an verschiedenen Schulen mit deutschsprachigen und/oder mehrsprachigen Kindern. In “Favoriten”, einem Dokumentarfilm von Ruth Beckermann, ist Idiskut die Protagonistin. In ihrer Schulklasse zeigt sie, wie Integration bei Kindern funktionieren kann. Bei der IMST-Tagung 2025, die unter dem Motto „MINT(T-)RÄUME: divers und vielfältig“ steht, ist Idiskut Keynote-Speakerin.

Die Dreharbeiten für den Film „Favoriten“ liegen nun bereits fünf Jahre zurück. Was hat sich seither verändert?
Ilkay Idiskut:
In fünf Jahren geschieht sehr viel – ein ganzer Generationswechsel findet statt. Die Durchmischung in den Klassen ist im Vergleich zu damals zurückgegangen. In meiner jetzigen Klasse sprechen 13 von 23 Kindern Arabisch.

Wie gehen Sie mit dem hohen Anteil an fremdsprachigen Kindern um?
Ich beziehe die Muttersprache der Kinder bewusst in den Unterricht ein und versuche, Brücken zur deutschen Sprache zu schlagen. Entscheidend ist für mich, die jeweilige Sprache zu würdigen, denn sie ist Teil ihrer Identität. Kein Kind soll sich ausgeschlossen fühlen.

Was verstehen Sie unter Lehrerprofessionalität in einem vielfältigen Umfeld?
Dazu gehört vor allem Flexibilität – und die Gelassenheit, sich nicht überfordert zu fühlen. Das entwickelt man mit der Zeit. In der Ausbildung lernt man zwar, Unterricht nach Plan zu gestalten, doch in der Praxis brauchen Kinder oft mehr Zeit. Wichtig ist deshalb, regelmäßig zu reflektieren, flexibel zu reagieren und nicht starr an Plänen festzuhalten.

Die IMST-Tagung 2025 widmet sich dem Thema „Vielfalt“. Welche Herausforderungen bringt das für den Unterricht mit sich? Und inwiefern profitieren Kinder von einer heterogenen Klasse?
Eine der größten Herausforderungen besteht darin, dass die Kinder sehr unterschiedliche Voraussetzungen mitbringen – im Niveau, in den Kompetenzen und Erfahrungen. Ich muss genau schauen: Wer kann schon zählen? Wer kann seinen Namen schreiben? Manche Kinder sind noch nie mit bestimmten Materialien wie einer Schere in Berührung gekommen. Sie brauchen besonders viel Aufmerksamkeit. Es reicht nicht, die Kinder nur zu beaufsichtigen – oft muss ich mich individuell neben sie setzen und gezielt unterstützen.
Auf der anderen Seite ist Vielfalt ein großer Gewinn: Wir können alle voneinander lernen. Genau das macht den Unterricht so besonders.

Welche Rolle spielt „Vielfalt“ im MINT-Unterricht?
Ich beziehe die verschiedenen Sprachen der Kinder aktiv in den Unterricht ein, zum Beispiel bei der Beschreibung von Experimenten. Experimente sind für die Kinder besonders wertvoll, weil sie selbst tätig werden können, ohne gleich etwas schriftlich festhalten zu müssen. Das praktische Ausprobieren ist ein zentrales Element der MINT-Fächer. Viele Kinder haben zunächst Angst, Fehler zu machen – doch gerade hier lernen sie, lösungsorientiert zu denken. Denn in den Naturwissenschaften gibt es nicht immer eine einzig richtige Antwort. Durch das Experimentieren gewinnen die Kinder Selbstvertrauen und stärken ihr eigenständiges Denken.
Auch die Digitalisierung spielt im MINT-Unterricht eine wichtige Rolle: Wir arbeiten viel mit Tablets, unternehmen Exkursionen – etwa ins Technische Museum – und setzen uns intensiv mit der Natur auseinander.

Welche Empfehlungen geben Sie angehenden Lehrer:innen?
Begegnen Sie den Kindern auf Augenhöhe. Klassenführung funktioniert nicht von oben herab. Außerdem ist es hilfreich, in bestimmten Situationen gelassen zu bleiben und nicht alles persönlich zu nehmen. Wir müssen uns immer vor Augen halten: Es sind Kinder, die zu Beginn ihrer Schulzeit vieles erst lernen müssen – von der Sprache bis zu den schulischen Regeln. Mir persönlich hilft es, die Geschichten hinter jedem Kind kennenzulernen, um besser auf ihre Bedürfnisse eingehen zu können.

Kann eine zu enge Beziehung zu den Kindern nicht auch hinderlich für konsequenten Unterricht sein?
Ich sehe das Gegenteil: Eine enge Bindung bringt uns weiter. Wenn wir an die Kinder glauben, dann glauben sie auch an sich selbst.

Zur IMST-Tagung 2025: MINT (T-)RÄUME: divers und vielfältig

Wie lässt sich MINT-Bildung so gestalten, dass sie wirklich alle Schüler:innen erreicht? Diese Frage steht im Mittelpunkt der IMST-Tagung 2025, die am 25. und 26. September 2025 an der PH Wien stattfindet. Denn damit Schüler:innen unabhängig von sozialer Herkunft oder bestehenden Stereotypen erfolgreich teilhaben können, braucht es inklusive Lernräume. Am Symposiumstag bieten Keynotes Einblicke in aktuelle Entwicklungen . Teil des Programms sind außerdem „MINT-Wanderungen“ – Exkursionen zu Best-Practice-Beispielen innerhalb Wiens.

Weitere Infos: IMST-Tagung 2025