Warum uns Landschaften so berühren

Was verraten Landschaftsdarstellungen über das Verhältnis von Mensch und Natur? Was repräsentieren Landschaften heute, in unserer globalisierten und digitalisierten Weltordnung? Wir haben mit Erec Gellautz über Landschaftsfotografie und die Ausstellung LAND__SCOPE gesprochen, in der Fotoarbeiten unterschiedlicher KünstlerInnen noch bis 26. Mai 2019 im Münchner Stadtmuseum präsentiert werden.

Wenn man einen Blick auf Social Media Plattformen wirft, sieht man tagtäglich Fotos von wunderschönen Sonnenaufgängen. Haben wir einen Hang zur Schönheit?
Ja, wir sind unbewusst darauf geeicht, die Schönheit in der Natur zu suchen und zu finden. Wenn wir ein Foto machen, wählen wir fast unweigerlich einen Ausschnitt, der zu einer harmonischen Bildkomposition führt. Smartphones und Plattformen wie Instagram haben zwar auch ‚neue’ Bildtypen populär gemacht, etwa der Ausblick in die Ferne, in den im unteren Bildraum noch die Beine des Fotografen ragen. Die Mehrheit der geposteten Landschaftsfotografien reproduziert aber die Ästhetik vergangener Epochen, wie der Malerei der Romantik. Diese Bildwelten formen unsere Wahrnehmung von Natur. Als ich im Sommer in der Vorbereitung der Ausstellung LAND_SCOPE einen Textbeitrag zum Thema „Ideallandschaften“ schrieb, saß ich abends am Wörthersee und dachte angesichts der untergehenden Sonne: „Wow, das ist genau das Thema mit dem ich mich beschäftige: der in die Landschaft gegossene See, dahinter die Geländeformationen aus gestaffelten Bergen und über allem diese erhabene Lichtstimmung.“ Natürlich ist es eine Henne-Ei-Frage: Was war zuerst da, die Landschaft oder das Landschaftsbild? Als Bildwissenschaftler spielt das Bild für mich die zentrale Rolle, weil wir über Bilder maßgeblich unser Verständnis der Wirklichkeit konstruieren – in diesem Fall beeinflussen Bilder die Wahrnehmung von Naturräumen.

Warum reizen uns Landschaften so sehr?
Landschaften sind inspirierend, weil wir über sie weit mehr als die Welt um uns herum verhandeln. Eine Landschaft kann harmonisch oder trostlos, bedrohlich oder rätselhaft wirken – insbesondere in den Inszenierungen von KünstlerInnen. Damit stimmen Landschaftsbilder emotionale und psychische Grunderfahrungen des Menschen an. Deswegen glaube ich, dass wir uns beim Betrachten von Landschaften nicht nur mit der Welt außerhalb auseinandersetzen, sondern auch tatsächlich mit uns selber. Wer bin ich? Was fühle ich? Wie stehe ich in Bezug zur Welt? Wir setzen unsere ‚innere Landschaft‘ mit der äußeren in Beziehung.

Geht es darum auch in der Ausstellung?
Die Ausstellung zeigt eine große Bedeutungsvielfalt auf: Landschaften werden intakt oder völlig zerstört repräsentiert, als politische Territorien oder Nutzlandschaften für den Ackerbau. Die KünstlerInnen reizen die Spielarten ihres Mediums voll aus: von analog belichteten Abzügen bis hin zu digital erzeugten Topografien. An so unterschiedlichen Werken wie einer riesigen Weltenlandschaft von RICHARD MOSSE oder der Darstellung eines kleinen Stücks Grabeland von SIMONE NIEWEG lassen sich die gleichen grundlegenden Fragen diskutieren: Wie steht es um das Verhältnis von Mensch und Natur? Was bedeutet das dargestellte Stück Land – philosophisch, ökologisch und politisch? Und über allem schwebt immer auch die Frage nach der Tragweite des menschlichen Handelns für die Natur, Stichwort: Anthropozän.

Diese Tragweite menschlichen Handelns zeigt sich auch am Beispiel einiger Influencer.
Ganz genau. Das ist übrigens ein schönes Beispiel dafür, dass Bilder nicht nur die Wahrnehmung der Welt verändern können, sondern sogar ganz manifest zur Veränderung von Landschaften beitragen: Wo ein Foto aufgenommen wurde wird heute durch Geotagging markiert. Wenn Influencer ein Foto online stellen, das tausende Likes erhält, kann das dazu führen, dass ein Strom von Menschen an bislang unbekannte Orte reist, nur um dieses Foto zu reproduzieren. Das Resultat sind dann etwa viele gleiche Bilder von Menschen auf einem einsamen Berggipfel. Was man nicht sieht: die anderen Touristen, die bereits Schlange stehen und sich darüber beklagen, dass so viele Leute vor Ort sind, die ihnen das beste Licht ‚wegnehmen‘. So natürlich wie möglich sollen die Fotos aussehen, dabei sind sie mit großem Aufwand inszeniert. Der Hype um die begehrte Aufnahmeperspektive, das „Ich bin hier“ führt also mitunter dazu, dass die wegen ihrer Schönheit faszinierenden Orte vermüllt und zerstört werden.

Machen Sie selbst auch Fotos von Landschaften?
(lacht) Es gibt so viele Fotos, ich weiß nicht ob die Welt noch auf meine wartet. Bestehende Arbeiten finde ich interessanter als eigene zu machen. Bei Instagram habe ich ganz wenige Bilder, darunter nur eine Landschaft: Ein Gemälde von Markus Pernhart, es zeigt den schneebedeckten Großglockner. Ein Foto vom Wörthersee habe ich natürlich schon gemacht, aber ich habe es nirgendwo hochgeladen. Der Künstler Joachim Schmid hat übrigens schon in Ende der 1980er Jahre die Parole ausgegeben: „Keine neuen Fotos, bis die alten aufgebraucht sind“.

Haben Sie ein Lieblingsbild?
Ganz viele. In der Ausstellung bin ich zum Beispiel fasziniert von INGE RAMBOWs Serie Wüstungen. Die deutsche Fotografin ist direkt nach dem Fall der Mauer in die ehemalige DDR gefahren und hat dort Braunkohlereviere fotografiert. Wenn man diese öden Tagebaulandschaften sieht, könnte man glauben man wäre im amerikanischen Outback gelandet, weil man in Mitteleuropa nicht so eine enorme Weite vermutet. Das passt zum Stichwort LAND_SCOPE: „Scope“ kann mit Geltungsbereich oder Horizont übersetzt werden. Es kommt vom altgriechischen „scopein“ und das heißt „beschauen“. Der Unterstrich im Titel verweist auf die Horizontlinie, die seit Ewigkeiten die menschliche Erfahrung von Landschaft prägt. In diesem Sinne birgt jeder Blick auf die Landschaft auch die Möglichkeit einer Horizonterweiterung.

 

Zur Person

Erec Gellautz ist Kunstwissenschaftler und Kurator. Er arbeitete am Zentrum für Kunst und Medien | Karlsruhe, am Fotomuseum Winterthur und in der Sammlung Fotografie des Münchner Stadtmuseums. Derzeit ist Erec Gellautz als Universitätsassistent im Forschungs- und Lehrbereich Visuelle Kultur an der Universität Klagenfurt tätig. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Kunst der Moderne und Gegenwart, Fotografie, Film, Video und digitale (Bild-)Medien sowie epochenübergreifende medientheoretische Fragestellungen und der Einfluss neuer Technologien auf die Gesellschaft.

Erec Gellautz | Foto: Jan Rothstein

Brombeerranken im Schnee



Simone Nieweg, Brombeerranken im Schnee (2013) | Copyright courtesy Galerie m Bochum

Dan Holdswirth, No. 10-11, aus der Serie: Continious Topography 2016 | Copyright Dan Holdsworth


Dan Holdswirth, No. 10-11, aus der Serie: Continious Topography 2016 | Copyright Dan Holdsworth

Zur Ausstellung

30. November 2018 – 26. Mai 2019
LAND__SCOPE – Fotoarbeiten von Roni Horn bis Thomas Ruff
 | Münchner Stadtmuseum

Das Ausstellung- und Publikationsprojekt widmet sich der Landschaftsdarstellung in der zeitgenössischen Fotokunst. Als ästhetische Phänomene sind Landschaften Bedeutungsträger für eine große Vielfalt an Projektionen. In einer breiten Übersicht mit Werken aus der DZ BANK Kunstsammlung wird der medienspezifischen Erschließung der Welt bis ins digitale Zeitalter nachgegangen. Ob analog oder computerbasiert, den fotografischen Landschaften liegen oft gesellschaftliche Debatten und politische Diskurse zugrunde, die auch in der Ausstellung und im zweisprachigen Katalog unter die Lupe genommen werden. Die Kuratoren des Projekts sind Ulrich Pohlmann, Christina Leber, Katharina Zimmermann und Erec Gellautz. Die Publikation (dt./engl.) wurde im Snoeck-Verlag vorgelegt.

Sudieren in Klagenfurt: Das Masterstudium Visuelle Kultur

Bilder sind heute mehr denn je Ausdruck und Agenten gesellschaftlicher Transformationen. Das Masterprogramm Visuelle Kultur fokussiert darauf, Wissen und Verständnis in Bezug auf die Wirkmächtigkeit von Bildern bzw. des Visuellen in der heutigen Gesellschaft zu stärken. Mehr