Videostill: Dragon Age

Von und über Videogames lernen

An der Alpen-Adria-Universität startet mit Wintersemester 2017/18 der Masterstudiengang „Game Studies and Engineering“, ein interdisziplinäres Studium zu Kultur, Praxis und technische Entwicklung von Spielen. Der Kulturwissenschaftler René Reinhold Schallegger – neben Mathias Lux einer der Hauptproponenten – befasst sich in seiner Habilitation mit ethischen Fragen zu Videospielen. ad astra wollte Details wissen.

Videospiele gehören zu den beliebtesten Unterhaltungsmedien weltweit. Deren inhaltliche Qualität lässt oft zu wünschen übrig. Gibt es zu wenig Spiele mit Anspruch, so wie beim Film oder in der Literatur?

Das Problem ist eben, dass Videogames ausschließlich als Unterhaltungsmedium klassifiziert werden und nicht wie bei anderen Medien auch als Kunst. Aus diesem Grund produziert die Industrie
derzeit bevorzugt Spiele, die Profit generieren. Anspruchsvollere und gesellschaftskritische Spiele laufen fast ausschließlich in der Nische der Indie Games. Videospiele sollten aber gerade im Mainstreambereich kritische Themen aufgreifen. Das Videospiel kann uns sogar darin unterstützen, dem Leben neue Perspektiven aufzuzeigen. Es gibt eine wachsende Community, die diese Spiele will und auch herstellt.

Nennen Sie uns bitte ein Beispiel.
Firewatch vom US-amerikanischen Studio Campo Santo etwa. Protagonist im diesem Adventure ist Henry, ein Mann Ende 30 und Feuerwächter in einem Nationalpark. Seine Frau ist etwas älter und Universitätslektorin. Sie leidet an einer seltenen Form von Frühdemenz. Und dann gibt es noch Delilah, die Vorgesetzte von Henry, mit der er nur über Funk über die besonderen Vorkommnisse im Park kommuniziert. Die Perspektive der Spielenden ist die von Henry, der mit Kompass und Karte durch den Nationalpark navigiert.

Was unterscheidet nun Firewatch von herkömmlichen Games?
Dass die Welt nicht schwarz-weiß ist und dass manche Probleme gar nicht oder nur unzulänglich gelöst werden können. Der Protagonist versucht, verantwortungsvoll zu handeln, aber es gelingt nicht immer. So muss er etwa entscheiden, ob seine Frau in ein Pflegeheim kommen soll oder nicht. Egal was er tut, es gibt keine optimale Lösung. Das ist das Subversive und gleichzeitig Lebensechte an diesem Spiel. Firewatch ist mehr als nur ein Adventure, es ist so etwas wie ein Lebensrealitätssimulator.

Welche Bedeutung hat hier die Spielkulisse?
Firewatch ist teilabstrahiert, also nicht fotorealistisch gestaltet, wie es derzeit im Trend liegt. Die Umgebung wirkt sehr ästhetisch, „erhaben“ im Kant´schen Sinne. In der Landschaft finden sich somit zur Widerspieglung der Psyche von Henry und der anderen Figuren. Das Spiel erzählt auch noch von einem verschwundenen Feuerwächter und seinem Sohn sowie der unglücklichen Liebe zwischen zwei anderen Kollegen.

Welche Qualitäten können Sie Videospielen abgewinnen?
Videospiele ermöglichen uns, ein systemisches und politisches Verständnis zu entwickeln. Meine zentrale These ist, dass das Videospiel besser als jedes andere Medium dafür geeignet ist. Es bietet uns einen Erfahrungsraum, in dem wir üben können, was es heißt, Teil eines Systems, einer Gesellschaft zu sein, in dem Verbindungen untereinander existieren. Da es dynamisch ist, können wir darauf und auf den Input von anderen Seiten reagieren. Der Freiraum, der wegen und trotz der Struktur existiert, macht das Spielen spannend. Man ist gleichzeitig Teil des Systems, aber durch  die Notwendigkeit der Konfiguration auch inhärent subversiv. Mechanismen, Erzählstrukturen und Ästhetik arbeiten zusammen, um eine interaktive Erfahrung zu schaffen. Die Konfiguration ist das Einzigartige am Videospiel. Damit lassen sich komplexe Konzepte umsetzen. Bei linearen Medien, etwa Literatur, ist nur die Interpretation auf einer kognitiven Ebene  möglich.

Und wer setzt das schon um?
Die kanadische Firma BioWare besitzt im Genderbereich und in punkto Diversität eine Vorreiterrolle. Sie lässt in ihren Mainstreamspielen etwa Transgender- und andere LGBTQ-Charaktere als völlig normale Figuren agieren. Viele Inhalte sind optional, und ich als spielende Person muss Entscheidungen treffen und in eine Handlung umsetzen. Ich bin für alles verantwortlich, was im Spiel passiert. Das ist das Politische am Videospiel an sich.

Im Schulunterricht werden gerne spezielle didaktische Spiele eingesetzt. Halten Sie das für zielführend?
Ich halte wenig vom Einsatz von Serious oder Educational Games im Schulunterricht. Wenn ein Spiel zu didaktisch wird, hört es auf ein solches zu sein. Es ist dann ein Trainingsprogramm, die Spielenden ziehen sich zurück. Ich empfehle deshalb, handelsübliche Spiele zu verwenden. Deren Aufbereitung ist entscheidend. Ein Shakespeare-Theaterstück ist ja auch nicht als didaktischer
Text geschrieben worden.

Gemeinsam mit Mathias Lux haben Sie das Critical Game Lab begründet. Was passiert da?
Interessierte Studierende treffen sich einmal im Monat für ein gemeinsames Spiel. Danach schreibt jede bzw. jeder ein kurzes kritisches Spotlight zu je einem Aspekt. Diese Analysen werden gesammelt und sind online lesbar. Ziel ist die Einrichtung einer Infothek mit akademisch fundierten Spielekritiken als Auswahlhilfe für Eltern und alle, die Spiele kaufen oder verschenken wollen.

Die Anmeldung für das Masterstudium Game Studies & Engineering startet am 1. Mai 2017.
Informationen: www.aau.at/master-gse

für ad astra: Barbara Maier

Zur Person

René R. Schallegger studierte an der Alpen-Adria-Universität Anglistik und Amerikanistik und promovierte 2014 sub auspiciis mit einer Dissertation zu Rollenspielen und Postmoderne.

Seine Habilitation trägt den Arbeitstitel: „Choices and Consequences: Virtual Ethics and the Potential for Cyber-Citizenship in Videogames“.

René Schallegger | Foto: Sonya Konitsch