Vom Verwalten zum Gestalten

Müssen Schulen autonomer werden, um effizienter und handlungsfähiger zu werden? Stefan Brauckmann widmet sich mit KollegInnen in einem Beitrag im Nationalen Bildungsbericht (NBB) 2015 dem Thema Schulautonomie und den damit einhergehenden Veränderungen in der Verteilung der Entscheidungsrechte und Verantwortung im österreichischen Schulwesen.

Herr Brauckmann, kann man in Österreich bereits von Schulautonomie sprechen?
Von erweiterter schulischer Eigenverantwortung sind wir noch ein gutes Stück entfernt. Allerdings gibt es auch jetzt schon erfindungsreiche SchulleiterInnen und LehrerInnen, die bestehende Handlungsspielräume nutzen und Freiräume schaffen. Die Frage ist aber, von welcher Autonomie jeweils die Rede ist. So würde Personalautonomie bedeuten, dass eine Schule LehrerInnen selbst auswählen und einstellen darf. Oder sprechen wir von pädagogischer Autonomie, d. h. dass Schulen in der Unterrichtsorganisation und -gestaltung frei sind. Budget- oder Personalautonomie gibt es in Österreich bis dato nicht. Schulen können meist Vorschläge einbringen, aber die übergeordneten Stellen entscheiden.

Warum sprechen wir überhaupt davon, Schulen autonomer zu machen?
Die Idee hinter Schulautonomie ist die Annahme, dass mehr Autonomie als Ermöglichungsbedingung zu leistungsfähigeren und besseren Schulen führt. Diese Annahme wird aber durch die verfügbaren Forschungsergebnisse nicht zweifelsfrei gestützt. Nach dem „PISA-Schock“ hat man sich angesehen, welche Schulsysteme erfolgreich sind. Es wurde deutlich, dass es oft nicht nur um Autonomie, sondern gleichzeitig um eine erhöhte Form der Rechenschaftspflicht geht. Da fällt mir der Film Spiderman ein, wo es heißt: „with great power comes great responsibility“. Autonomie bedeutet einerseits frei zu sein in der Erreichung des Ziels, andererseits wird man aber an der Erreichung des Ziels gemessen. Es sind gewissermaßen die siamesischen Zwillinge des neuen Steuerungsparadigmas.

Macht diese Verantwortung Schulen bzw. Schulleitungen Angst?
Jede und jeder geht damit anders um. Mehr Eigenverantwortung ist für viele positiv, da sie mehr gestalten und nicht nur verwalten dürfen. Selbstverständlich ändert ein solcher Steuerungsansatz grundlegend die Rolle und Aufgaben von SchuldirektorInnen. Im NBB 2015 wird klar, dass Schulautonomie nicht ohne Stärkung der Schulleitungen gedacht werden kann.

Welche Kompetenzen zeichnen gute SchulleiterInnen aus?
Sie benötigen zunehmend Führungs- und Managementqualitäten, um beispielsweise die außer- und innerschulischen Ansprüche in einer gesunden Balance zu halten. In Zeiten von sinkenden Schülerzahlen stehen Schulen im Wettbewerb mit anderen Schulen – das setzt unternehmerisches Denken voraus. Zugleich kümmern sich die Schulleitungen um die Weiterentwicklung der Schule und ihrer MitarbeiterInnen.

Und diese Tätigkeiten werden von einer Person alleine geleistet?
So ist es derzeit bei uns. Aber wie kann eine Person eine Schule leiten, wenn sie nebenbei, wie in vielen Volksschulen, ein immens hohes Unterrichtsdeputat zu absolvieren hat? Das ist in anderen Ländern undenkbar. Deshalb müssen DirektorInnen oft Widersprüche aushalten. Damit meine ich, dass sie oft wissen, was für die Schule gut ist, aber keine Zeit haben, es umzusetzen, weil sie den Schulalltag managen müssen. Schul- und Unterrichtsentwicklung werden so mitunter nolens volens zur Luxustätigkeit.

Wie gehen SchulleiterInnen mit diesen Widersprüchen um?
Derzeit gibt es für Österreich noch zu wenige aussagekräftige Daten. In Deutschland habe ich in der vom zuständigen Ministerium geförderten SHaRP-Studie* SchulleiterInnen befragt, wie viel Zeit pro Woche wofür aufgewendet wird. Es wurde deutlich, dass das eigene Unterrichten die meiste Zeit in Anspruch nimmt. Bemerkenswert ist, dass die hohe Unterrichtsverpflichtung nicht gleichbedeutend mit hohem Belastungsempfinden ist. Auf einer Tagung habe ich von Schulleitungsseite vereinzelt Aussagen vernommen wie etwa „Beim Unterrichten entspanne ich mich von meiner Leitungsaufgabe.“ Unterrichten entspannt scheinbar viele, weil es das ist, was die SchulleiterInnen ursprünglich gelernt haben.

Welche Aufgaben erfüllen Schulleitungen noch?
Wie schon kurz erwähnt, sollen Schulleitungen ihre Schule weiterentwickeln. Auch Personalentwicklung zählt dazu: Welcher Lehrer braucht welche Fortbildung, um (noch) besser zu werden? Die Zusammensetzung der Schülerschaft gestaltet sich zunehmend heterogener, das heißt, Diversitäts- und Konfliktmanagement gewinnen ebenfalls an Bedeutung. Dazu kommt noch die oft intensive und mitunter konfliktbehaftete Arbeit mit Eltern und SchülerInnen, etwa beim lösungsorientierten Umgang mit Beschwerden und Kritik.

Trotz der Fülle an Aufgaben scheint die Stellung von SchulleiterInnen in Österreich nicht sonderlich gut zu sein. Warum?
Es gibt kein fest umrissenes Berufsbild. Das Ziel meiner Forschung ist auch, das komplexe Handlungsspektrum sichtbarer zu machen und aufzuzeigen, was sie unter den Rahmenbedingungen zu leisten imstande sind. Die Bedeutsamkeit von Schulleitungen für die Qualitätsentwicklung von Schulen war nie größer, die Bereitschaft diesen Job auszuüben, war aber nie geringer. Dies muss sich ändern. In den nächsten Jahren werden viele Schulleiterstellen frei und es wird schwer, geeignete Personen dafür zu finden.

Wie und wo werden SchulleiterInnen aus- und weitergebildet?
In Österreich gibt es seit über zehn Jahren die Leadership Academy, die interessierte Führungskräfte im Bildungssystem ausbilden soll. An den Standorten Linz, Innsbruck, Baden und Klagenfurt werden Masterstudien für Schulmanagement angeboten. Darüber hinaus wäre es wichtig, dass diese Führungsakademien auch evaluiert werden, um zu sehen, was davon im Berufsalltag abgerufen werden kann. In der SHaRP-Studie habe ich SchulleiterInnen gefragt, wie sie sich professionalisieren. Die mehrheitliche Antwort: untereinander. Der Austausch mit KollegInnen wird als relevanter empfunden als formale Bildungsangebote.

Welche Leitungsansätze verfolgen Schulen in anderen Ländern?
Ein Ansatz ist distributed leadership, also verteilte Führung. Warum sollte immer nur die Direktorin oder der Direktor „leiten“? In Kanada, zum Beispiel, ist die Leitung in die pädagogischen Aufgaben und die Management-Aufgaben unterteilt.

Wie sehen Sie die Zukunft der Verteilung von Verantwortung im österreichischen Schulwesen?
Eine Möglichkeit wäre, nicht gleich allen Schulen die komplette Eigenverantwortung zu übertragen. Man könnte in Wellen vorgehen, um dann Vorreiterschulen zu haben, die wissenschaftlich begleitet und evaluiert werden.

für ad astra: Katharina Tischler-Banfield

****************************
Altrichter, H., Brauckmann, S., Lassnigg, L., Moosbrugger, R. & Gartmann, G. B. (2016). Schulautonomie oder die Verteilung von Entscheidungsrechten und Verantwortung im Schulsystem. In Bruneforth, M., Eder, F., Krainer, K., Schreiner, C., Seel, A. & Spiel, C. (Hrsg.). Nationaler Bildungsbericht Österreich 2015. Band 2: Fokussierte Analysen bildungspolitischer Schwerpunktthemen (S. 263–303). Graz: Leykam, doi:10.17888/nbb2015-2-7.
Zur Online-Version

* SHaRP-Studie: www.dipf.de/de/forschung/projekte/schulleitungshandeln-zwischen-erweiterten-rechten-und-pflichten

Zur Person

Stefan Brauckmann, Professor für Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung im Bildungsbereich, lehrt und forscht am Institut für Unterrichts- und Schulentwicklung zu den Themen Schulleitung, -entwicklung und -organisation.

Stefan Brauckmann | Foto: aau/Tischler-Banfield