Gerda Elisabeth Moser | Foto: aau/Müller

Viel Vergnügen!

ad astra hat im Schlossgarten von Damtschach die Kulturtheoretikerin Gerda Elisabeth Moser getroffen und mit ihr über die Spannungsfelder von Vergnügen gesprochen.

Leben wir in einer vergnüglichen Zeit?
Wohlstand ist breit verfügbar geworden und damit auch der Zugang zu den Angeboten der Vergnügungsindustrie. Ein gewisser scheeler Blick auf das Vergnügen ist jedoch geblieben. Das liegt in erster Linie daran, dass Vergnügen, vor allem in seinen teuren und raffinierten Varianten, lange Zeit der Oberschicht vorbehalten war. Unterschwellig gilt daher auch heute noch der moralische Vorwurf: Da gibt es eine Schicht – vielleicht gehört man selbst schon dazu –, die sich auf Kosten anderer vergnügt. Diese Sorge, jemandem seinen Genuss zu stehlen oder streitig machen zu müssen, ist als kulturelle Grundstimmung bis heute bestehen geblieben.

Können wir mit den neuen Möglichkeiten zum Vergnügen also noch nicht umgehen?
Wir haben heute, zumindest in Mitteleuropa, mehr Möglichkeiten denn je, sind aber noch nicht wirklich darin angekommen. Vergnügen wäre eine Möglichkeit, dem Leben Ziel und Sinn zu geben. Heiterkeit und Freude zu empfinden, Wohlbefinden andern zu schenken oder mit ihnen zu teilen, könnte eine soziale Tugend sein. Daneben gibt es aber auch Zweifel und Ängste, etwa die Angst vor Hedonismus, dem Vergnügen als Sucht. Obwohl es suchtartiges Verhalten gerade auch in Arbeitsprozessen oder auf dem Finanzmarkt gibt, steht in erster Linie das Verhalten in der Freizeit unter Verdacht.

Insbesondere aus der intellektuellen Ecke blickt man ja häufig skeptisch auf die Spaßgesellschaft, oder?
Es gibt Unterhaltung mit Niveau und Niveau, das sehr unterhaltsam ist. Der Widerspruch resultiert aus den Bildungsvorstellungen von Revolutions- und Mangelzeiten, in denen man der Ansicht war, sozialer Aufstieg und Bildung seien etwas, das man sich nur unter größter Aufopferung und Anstrengung verdient. Heute weiß man, dass Lernen auch Spaß machen kann und auf lustvoller Neugierde fußt. Sich manche Grundlage mühsam zu erarbeiten gehört da dazu. Frag- und kritikwürdig wird es, wenn Mühe zum Selbstzweck oder Fetisch wird und wenn Menschen sich auf diese Weise selbst versklaven oder versklaven lassen. Und freilich bietet speziell die Unterhaltungsindustrie sehr oft Vergnügen an, das Niveauansprüche unterläuft.

Wo liegt die Grenze für Sie?
Wenn ich als Vergnügenstheoretikerin gesellschaftliche Strukturen und den Umgang mit Vergnügen beobachte, richte ich meinen Blick auf etwas, das letztlich sehr künstlich im Sinne von „raffiniert“
und „arrangiert“ ist, das man konstruieren und damit auch reflektieren kann. Diese Möglichkeit des Zusammenspiels von Lust und Verstand finde ich immens spannend. So kann es im Vergnügen Momente des Innehaltens geben, in denen gefragt wird: Tut mir das wirklich gut? Warum? Was gefiele mir noch besser? Spaßangebote der Industrie gehen allerdings in der Tat sehr oft mit einem bewusstlosen Konsumieren einher, das den Menschen diesen Freiraum des Überprüfens und Fragens nimmt.

Erfüllt Vergnügen dann einen bestimmten Zweck?
Spaßangebote schließen oft Vergnügen als einen grundlegenden Lebensstil oder eine Lebenshaltung aus. Meist geht es um Entspannungs- oder Aufregungseffekte, die die Menschen fit für Arbeitsprozesse und das Funktionieren in der Leistungsgesellschaft machen sollen. Gleichzeitig werden Menschen in atemlose Konsumspiralen geschickt. Vernunft und Lust sind hier sehr stark voneinander getrennt.

Wie können Vernunft und Lust zusammenspielen?
Als Vergnügenstheoretikerin kann ich die Vernunft im Dienste der Lüste sehen. Dieser Sichtweise nach ermöglicht Vernunft zu reflektieren, was einem gut tut. Gleichzeitig erscheint mir Vernunft weder als eine Vertreterin des Verbots der Lüste noch diesen schutzlos ausgeliefert. Dann wären wir nämlich wieder dort, wo der Vorwurf des Hedonismus berechtigterweise ansetzt: kein Bewusstsein haben, keine Grenzen setzen können, destruktives Verhalten gegen sich selbst und andere.

Sie waren zu Forschungszwecken auch in Las Vegas. Haben Sie dort einen vergnüglichen Ort vorgefunden?
Las Vegas ist für mich ein „Vergn“. Vergnügen ist dort ein halbes Angebot. Ein Beispiel sind die großen Poollandschaften der Megaressorts. Die Betreiber möchten verhindern, dass die Gäste zu lange – und zu wenig konsumierend bzw. Geld ausgebend – am Pool liegen. Daher gestalten sie die Öffnungszeiten so, dass die Pools nur zur größten Hitze mit entsprechend kurzer Verweildauer geöffnet sind. Vergnügen wird als Potenzialität angeboten, und es wird verhindert, dass diese ausgeschöpft wird. Gleichzeitig genieße und schätze ich aber an einem Ort wie Las Vegas die Künstlichkeit des Angebots: Inszenierte Welten wie diese können deutlich vor Augen führen, dass es in Hochkulturen wie den unseren oder überhaupt in jeder Art von Kultur das rein Natürliche oder Spontane nicht gibt, auch nicht geben kann.

Ist es eine Lösung, das Vergnügen und das echte Glück in sich zu finden?
Momentan liegt es stark im Trend, den inneren Anteil zu betonen. Die Ratgeberliteratur empfiehlt, man könne überall glücklich sein, wenn man nur mit sich im Reinen wäre. Ich denke, dass es eine Überforderung der Menschen ist, ihnen zu suggerieren, dass sie so mächtig sein können, sich ständig selbst in einen Zustand der Heiterkeit zu versetzen. Damit einher geht oft ein hochnäsiges und abschlägiges Betrachten des Konsums oder der Reize der Wohlstandsgesellschaft, das ich so nicht akzeptieren kann. Konsum an sich ist weder gut noch schlecht. Es braucht mehr Differenziertheit im Umgang mit ihm und eine Reflexionssprache der Konsumästhetik.

Das Vergnügen kommt also nicht spontan daher?
Nein, die Vorstellung von reiner Spontaneität oder eines unschuldigen Lebens außerhalb von Konsum gilt seit dem konstruktivistischen Turn in den Wissenschaften als eine Illusion. Auch aus meiner Sicht brauchen wir Reize von außen, die es uns ermöglichen, Vergnügen zu erleben. Gleichzeitig erscheint mir Vergnügen aber auch als etwas Leichtes und Leichtgängiges, das sich stark von Rausch, sei er trunken oder religiös, abgrenzt.

für ad astra: Romy Müller

 

 

 

Zur Person

Gerda Elisabeth Moser ist Germanistin und Kulturtheoretikerin. Sie forscht unter anderem zu Vergnügenstheorien, Populärliteratur und -kultur und (Post-)Moderner Debatte. Forschungsreisen führten sie unter anderem nach Las Vegas und Dubai. Aktuell arbeitet sie an einer Monographie zu „Theorien des Vergnügens“ und in der Lesegruppenforschung.

Gerda Elisabeth Moser | Foto: aau/Müller

Gerda Elisabeth Moser | Foto: aau/Müller