Wie organisiert sich China?

Im Rahmen des Veranstaltungsschwerpunktes „Wie organisiert sich China?“ waren die beiden Spiegel-Korrespondenten Jutta Lietsch und Andreas Lorenz vom 28. bis 29. Jänner 2011 zu Gast in Wien. Die beiden JournalistInnen vermittelten im Abendvortrag „Chinas KP – Geheimbund zwischen Mao und Markt“ und im Workshop „Die China GmbH“ dem Publikum ein hoch differenziertes Bild ihrer Beobachtungen und Erfahrungen, die sie im Laufe ihres bereits 12-jährigen Aufenthaltes in China sammeln konnten.

Jutta Lietsch und Andreas Lorenz berichteten in ihrem Abendvortrag im vollbesetzten Radio Kulturhaus über die Stellung und Rolle der Kommunistischen Partei in China. Sie erklärten die interne Organisation und Struktur der Partei, die mit ihren 80 Millionen Mitgliedern über ein Land mit 1,3 Milliarden Menschen regiert. Nach einer allgemeinen Einführung in die Funktionsweise der einzelnen Parteiorganisationen, wurde das Zusammenspiel zwischen den einzelnen Führungsgremien, Abteilungen, etc. genauso thematisiert wie das parteiinterne Verhältnis zwischen Zentralregierung und den Parteiorganisationen in den Provinzen. Sie zeichneten auch den typischen Karriereweg eines Parteifunktionärs nach und vermittelten so einen Eindruck wie in der Kommunistischen Partei Chinas Führer gemacht aber auch – manchmal sehr überraschend – wieder abgelöst werden. Die beiden Referenten verfügen über ein enormes Detailwissens, aufgrund dessen sich eine zwei Stunden andauernde Diskussion mit dem Publikum entwickelt hat. Die Pipa Spielerin Pei Ju Tsai ergänzte den Eindruck des Vortrags über China mit ihrer Musik.
Am nächsten Tag wurden bereits andiskutierte Themen aber auch weiterführende Aspekte, im ganztägigen Workshop „Die China GmbH“ vertieft.
Im Rahmen der Thematik „Chinas Rolle in der Weltpolitik und das Verhältnis zur USA“ zeichneten die beiden Korrespondenten ein differenziertes Bild der Außenpolitik Chinas und berichteten von einem bereits seit einigen Jahren stattfindenden Paradigmenwechsel. Jahrzehntelang orientierte sich China primär nach innen. Dieses Bild befindet sich im Wandel. Die Außenpolitik Chinas wird zunehmend aktiver. Das äußert sich einerseits durch eine aktivere Politik im Asiatischen Raum zur Absicherung der chinesischen Handelswege, im zunehmenden Engagement in der UNO und andererseits durch die Bereitstellung enormer finanzieller Ressourcen, um wirtschaftlich angeschlagenen Ländern unter die Arme zu greifen. Nicht zuletzt ist China der größte Gläubiger der USA und besitzt derzeit US-Staatsanleihen im Wert von ca. 8000 Milliarden Dollar.

Diese weltweiten wirtschaftspolitischen Verflechtungen Chinas wurden im inhaltlichen Schwerpunkt „Wirtschaft: Die China GmbH“ verdeutlicht. Gleichzeit wurde ein kritischer Blick auf die innerstaatlichen Auswirkungen dieser außenpolitischen Entwicklung geworfen. Die Chinesische KP sieht die Staatswirtschaft als überlebensnotwendig für die weitere Entwicklung an. Die Förderung der chinesischen Wirtschaft erfolgt jedoch nach marktwirtschaftlichen Überlegungen. Für die Bevölkerung bedeutet das ausgesprochen prekäre Arbeitsbedingungen, keine Einhaltung des ArbeitnehmerInnenschutzes – der jedoch zumindest als Gesetz gut ausgearbeitet ist – als auch niedrige Entlohnung. Es wurden auch die Möglichkeiten ausländischer Investoren thematisiert. In der Diskussion wurden Grenzen aber auch gangbare Wege erörtert, nach denen Unternehmen in China investieren können.

Gleichzeitig hat die stark marktwirtschaftliche Orientierung dazu geführt, dass in China – auch innerhalb der KP – wieder verstärkt über Werte und Sinn debattiert wird. Vor diesem Hintergrund wurde der Konfuzianismus wiederentdeckt und der derzeitigen „Wertelosigkeit“ entgegengestellt. Was die Religionen betrifft sind derzeit fünf – Katholizismus, Protestantismus, Daoismus, Buddhismus und Islam – nicht nur wieder erlaubt, sondern von der KP als gesellschaftsordnende Kraft wiederentdeckt worden. Dennoch sieht sich die Partei als Hüter der Religionen und bestimmt deren religiöse Führer.
Jutta Lietsch und Andreas Lorenz gelange es zu vermitteln, dass China ein Land der Widersprüche ist. Einer dieser Widersprüche betrifft insbesondere auch den Umgang der Partei mit der Presse- und Meinungsfreiheit. Die Partei ist sich bewusst, dass Presse- und Meinungsfreiheit notwendig sind, gleichzeitig möchte sie keine allzu weite Öffnung zulassen und gibt genau vor, über welche Themen geschrieben werden darf und welche nicht.

Das ausgegebene Ziel der Regierung ist der Wohlstand für alle, das ihrer Meinung nach nur durch die Kontrolle der Partei über die Bevölkerung erreicht werden kann.  Die Partei versucht den goldenen Mittelweg der „Harmonisierung“ – wie sie es bezeichnet – zu gehen und ist bestrebt durch die Medien ein „Gefühl des fairen Wachstums“ zu vermitteln.

Zum Abschluss des Workshops berichteten die beiden JournalistInnen über ihre persönlichen Erfahrungen als Korrespondenten mit Kontrolle, Meinungsfreiheit und den daraus entstandenen „Kontakten“ zur Partei.

Fortgesetzt wird der Asienschwerpunkt im Rahmen des Vienna Dialogue on OD am 11. und 12. März 2011. Dann wird Dr. Martin Sajdik, Botschafter der Republik Österreich in China, Korea und der Mongolei, zu Gast sein und Einblicke in die österreichisch-chinesischen Beziehungen aber auch in das Verhältnis zwischen EU und China geben.

Univ.-Prof. Dr. Ralph Grossmann
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iff-Fakultät für Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung der Alpen-Adria-Universität
Organisationsentwicklung und Gruppendynamik