„Das Lernen zu verstehen heißt, das Gehirn zu verstehen“

Der deutsche Psychiater Manfred Spitzer über Zusammenhänge von Gehirnforschung und Lernprozessen.

Der deutsche Professor für Psychiatrie Manfred Spitzer sprach am 30. März 2006 an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt vor 550 begeisterten Zuhörerinnen und Zuhörern über die Zusammenhänge von Gehirnforschung und Lernprozessen. Spitzer plädiert dafür, die Erkenntnisse der Gehirnforschung in die Gestaltung von Schule und Unterricht einfließen zu lassen – und erwartet sich damit eine Erleichterung und Verbesserung des Lernens für Schülerinnen und Schüler.

Manfred Spitzer möchte das Verhalten von Kindern in und außerhalb der Schule empirisch erforschen und dokumentieren, um damit Rückschlüsse auf den Unterricht treffen zu können bzw. Schul- und Unterrichtsentwicklung zu unterstützen. „Man muss schauen, was die Kinder machen,  bevor man schaut, was man anders machen will“, so Spitzer dazu.

Der Professor für Psychiatrie, der mit seinen Vorträgen allwöchentlich deutsche Stadthallen mit bis zu 3000 Menschen füllt, erregt mit seinen Methoden und Ergebnissen großes Aufsehen. Da bisher kaum empirische Untersuchungen im Spannungsverhältnis zwischen Gehirnforschung und Pädagogik betrieben worden sind, steht er mit seinem Ulmer Team vor vollkommen neuen Herausforderungen. Beispielhaft gibt Spitzer das Fernsehen als Einflussfaktor auf das jugendliche Lernen an: Im Vergleich zweier Schulen, in der einen gehen die Schülerinnen und Schüler weiter ihrem gewohnten Fernsehkonsum nach, in der anderen werden die Jugendlichen mit Erfolg dazu motiviert, nicht oder weniger fernzusehen, wurde festgestellt, dass die fernsehfreien Kinder nach einer gewissen Zeit nicht nur weniger wiegen, sondern auch konzentrierter, ausgeschlafener und aufnahmefähiger sind. Mit der empirischen Datenausarbeitung von Gehirnströmen, Pulsfrequenzen und Bewegungsmessungen gepaart mit Fragebögen gewinnt das Institut beispielsweise Erkenntnisse darüber, welches Schulfrühstück welche Auswirkungen auf das Lernen hat bzw. ob und wann Sport förderlich für die Aufnahmefähigkeit der Schülerinnen und Schüler ist.

Manfred Spitzer arbeitet eng mit Schulen zusammen und betont: „Lehrerinnen und Lehrer müssen mitforschen.“ Damit können Daten fundiert erhoben werden bzw. die Ergebnisse in den Unterricht integriert werden. Schülerinnen und Schüler sind nicht als Versuchskaninchen zu sehen, sondern profitieren von den Erkenntnissen der Gehirnforschung. „Die wissenschaftliche Arbeit auf diesem Gebiet steht erst am Anfang. In 2-3 Jahren werden wir mit unseren Studien so weit sein, dass wir sagen können, welche Unterrichtsbedingungen welche körperlich-messbare Reaktion im Hirn hervorrufen“, so Spitzer dazu. „Eine enge Interaktion zwischen Gehirnforschung und Schulentwicklung ist eine sinnvolle Zukunftsvision – nicht zuletzt im Sinne der Schülerinnen und Schüler“, resümiert Konrad Krainer, Leiter des Instituts für Schul- und Unterrichtsentwicklung, das den Gastprofessor nach Klagenfurt holte, Spitzers Ausführungen.

Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer studierte Medizin, Psychologie und Philosophie in Freiburg, wo er sich auch zum Psychiater weiterbildete und 1989 im Fach Psychiatrie habilitierte.
In den Jahren 1990 bis 1997 war er als Oberarzt an der Psychiatrischen Universitätsklinik Heidelberg tätig. Zwei Gastprofessuren an der Harvard-Universität und ein weiterer Forschungsaufenthalt am Institut for Cognitive and Decision Sciences der Universität Oregon prägten seinen Forschungsschwerpunkt im Grenzbereich der kognitiven Neurowissenschaft und Psychiatrie.
Seit 1997 ist Spitzer Professor für Psychiatrie an der Universität Ulm und leitet die seit 1998 bestehende Psychiatrische Universitätsklinik in Ulm. Darüber hinaus ist er Gründer des Transferzentrums für Neurowissenschaften und Lernen (ZNL) an der Universität Ulm, das – weltweit erstmals – die Verbindung von Gehirnforschung und Pädagogik zur Aufgabe hat.

Der Vortrag wurde vom Institut für Unterrichts- und Schulentwicklung – IUS (Fakultät für Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung – IFF) veranstaltet:
Das Institut für Unterrichts- und Schulentwicklung ist ein österreichweites Kompetenzzentrum im Bereich der Bildungsforschung. Es werden unter anderem Großprojekte wie IMST – „Innovations in Mathematics, Science and Technology Teaching“ sowie mehrere Universitätslehrgänge zur Lehrer/innenweiterbildung durchgeführt. Das IUS ist international gut vernetzt und lädt regelmäßig renommierte Expert/innen zu Gastprofessuren und Gastvorträgen ein.

Kontakt:
Institut für Unterrichts- und Schulentwicklung – IUS
Alpen-Adria-Universität Klagenfurt / IFF
Mag. Romy Müller, Öffentlichkeitsarbeit
Tel. 0463 2700 6122
http://www.uni-klu.ac.at/iff/schule, http://imst.uni-klu.ac.at
romy [dot] mueller [at] uni-klu [dot] ac [dot] at