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Soziologischer Blick auf „Moneyismus“: Wie der Glaube an Geld unser Handeln steuert

Der Soziologe Paul Kellermann, emeritierter Professor der Universität Klagenfurt, geht in einer aktuellen Buchpublikation unter dem Titel „Moneyismus“ – der naive Glaube an Geld der „Geldgläubigkeit“ auf den Grund.

„Dass Etwas – eine Münze, eine Geldnote, ein digitales Zeichen – als Geld angesehen wird, basiert auf dem Vertrauen, damit Gewünschtes bezahlen zu können. Doch das setzt voraus, dass Menschen bereit sind, für Geld ihre Güter oder Dienste anzubieten. So lange das problemlos funktioniert, ist weiteres Nachdenken nicht erforderlich. Der dadurch entstehende bedenkenlose Glaube, mit Geld alles erreichen zu können, ist Geldgläubigkeit: ‚Moneyismus‘. Erst wenn es schwierig wird, gegen Geld Gewünschtes kaufen zu können, wird klar: Geld erfüllt keine Wünsche. Vielmehr müssen gewünschte Güter und Dienste angeboten werden, die nur durch entsprechende Tätigkeit, also Arbeit, verfügbar sind“, definiert Paul Kellermann, emeritierter Professor für Soziologie an der Universität Klagenfurt, den Begriff der Geldgläubigkeit.

In seinem aktuell erschienenen Buch argumentiert Paul Kellermann für eine neue gesellschaftspolitische Abstimmung der Wirtschaftssysteme und Währungssysteme sowie Konsum und Investition. Seine Kernbotschaft: In der realen Wirtschaft entstehen durch menschliche Arbeit und durch von Menschen entwickelte Hilfsmittel wie Geräte, Wissen und Können (physisch wahrnehmbar) Güter und Dienste. In der virtuellen Finanzwelt stehen Finanzwerte im Zentrum, die immateriell sind, aber durch Träger wie Münzen oder Scheine, die als Symbole dienen, physisch wahrnehmbar sind. Ob Geld als Symbol funktioniert, hängt vom Vertrauen der Individuen ab. So funktionierte das Wirtschaftssystem lange Zeit.

Paul Kellermann beschreibt den Wandel zur Geldgesellschaft: „Dominant wurde Geld mit dem Beginn sich rasch entwickelnder Arbeitsteilung in industrieller Lohnarbeit und damit des erforderlichen Kaufs von Leistungen, die nicht selbst erbracht werden können. Über Geld verfügen zu können, wurde zu einer Notwendigkeit. Der frühere Zwang zur Arbeit im Interesse der Herrschenden wandelte sich in den aktuellen Zwang aus eigenem Interesse. Überregionaler Handel wuchs aufgrund überregional entstehender Arbeitsteilung, geldvermittelte Märkte wuchsen immer ausgedehnter.“ Der Paradigmenwechsel vollzog sich im Laufe der zunehmenden Industrialisierung, bis schließlich mit dem Bruttoinlandsprodukt (BIP) ein Wert definiert wurde, der dem Geld einen neuen Stellenwert beimaß. Das BIP drückt die wirtschaftlichen Leistungen eines Landes in Geld aus. „Es entstand dadurch eine Orientierung auf immaterielles Geld, weniger auf materielle Leistung“, fasst Paul Kellermann zusammen. In der Folge entwickelten sich die Geldgesellschaft und damit der Moneyismus, die Geldgläubigkeit.

Dass die Planungen der Regierungen nun primär nach den verfügbaren Finanzmitteln, nur sekundär nach dem realen Bedarf, erfolgen, sei für Kellermann eine Folge dieser Entwicklungen. Bei Geldknappheit müsse gespart werden. Dass dies häufig auf Kosten der Infrastruktur passiere, würde sich negativ auf die tatsächlichen Rahmenbedingungen für reale wirtschaftliche Leistungen auswirken. Als „überdeutliches“ Beispiel führt Paul Kellermann die Deutsche Bundesbahn an. Einen Ausweg sieht Kellermann in einem anderen Blick auf Geld: „Aktuell führt die primäre Orientierung an Geld dazu, dass Geld zu einem Instrument wird, mit dem unsere menschlichen Handlungen gesteuert werden. Anders wäre dies, wenn wir Geld als Organisationsmittel sehen würden, nicht als ‚endliche Ressource‘.“

Paul Kellermann (2024). „Moneyismus“ – der naive Glauben an Geld. Soziologie, Bd. 110. Münster: LIT-Verlag.