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Interdiskursive Parallelaktionen: Robert Musil online kommentieren

Artur R. Boelderl, Franziska Mader

 

Das Buch erläutert den interdiskursiven Kommentar zu Robert Musils Werk – von der kommentartheoretischen Auseinandersetzung bis zu Fragen praktischer Anwendung und technischer Umsetzung. Musils Texte zeichnen sich durch Vielschichtigkeit und Mehrdeutigkeit aus, die sich der Online-Kommentar zu eigen macht. Er fächert die Texte auf, um Zugänge zu schaffen, Musils Werk zu erschließen, ohne es zu begrenzen. Nicht das eine Verstehen ist Ziel der Kommentierung, sondern die immer wieder neue Perspektive, die jeden Text zum Gegenstand einer unendlichen Lektüre werden lässt.

 

Robert Musils Werk wird oft als undurchdringlich und deshalb schwer verständlich beschrieben. Seine Texte zeichnen sich durch Vielschichtigkeit und Mehrdeutigkeit – Interdiskursivität – aus. Der neuartige Online-Kommentar, der als Interdiskursives Dossier auf MUSIL ONLINE abrufbar ist, macht sich gerade diese Offenheit zu eigen und fächert sie auf, um Zugänge zu schaffen und Musils Werk zu erschließen, ohne es zu begrenzen. Denn – so die im ersten Teil des Buchs entfaltete Ausgangsthese – nicht das eine Verstehen ist Ziel der Kommentierung, sondern die immer wieder neue Perspektive, die jeden Text zur unendlichen Lektüre werden lässt. Statt einer vermeintlichen Wirklichkeit macht der Kommentar die unbegrenzten Möglichkeiten sichtbar, indem er die unzähligen, näher und weiter verzweigten Bezüge in und zu Musils Texten zusammenträgt.

Diese Bezüge beschränken sich durchaus nicht auf vom Autor intendierte Verweise auf andere Texte, wie die im zweiten Teil des Buchs angebotenen Analyse-Beispiele offenlegen. Sie beschäftigen sich mit Zeitungsdrucken von Musil-Texten und verdeutlichen, dass diesemit den anderen sie auf der Zei-tungsseite umgebenden Texten kommunizieren. So ergeben sich textuelle Korrespondenzen, die für den Autor unkalkulierbar waren. Sie veranschaulichen die Tatsache, dass Texte keine isolierten Arte-fakte, sondern vernetzte Zeichensysteme sind, deren Reichweite nicht kontrollierbar ist. Da rückt auf einer Seite der darwinistisch geprägte „Kampf ums Dasein“ in Musils Hasenkatastrophe buchstäblich in die Nähe des sportlichen Wettkampfs, weil der Text in der Sport-Rubrik abgedruckt steht. Und auf einer anderen Seite entfaltet sich zwischen Musils Text, einer Kolumne und einem Bericht der heils-geschichtliche Bogen vom alttestamentlichen Schöpfungsbericht bis zur neutestamentlichen Erlösung im Paradies. Wieder auf einer anderen Seite prophezeit Musils Fliegenpapier bereits beim Ausbruch des Abessinienkriegs im Oktober 1935 indirekt dessen schrecklichen Verlauf mit unzähligen Toten bis 1941. Diese Interaktion der Musil-Texte mit ihrer Umgebung markiert ihre Kommunikationsstärke und belegt ihre unbegrenzbare Anschlussfähigkeit.

Wie sich identifizierte Referenzen auf andere Texte – seien sie nun autorintendiert oder -überschrei-tend – digital einfangen lassen, behandelt der dritte Teil des Buchs. Anhand konkreter XML/TEI-Aus-zeichnungsbeispiele zeigt er Möglichkeiten bzw. Varianten auf, wie Vernetzungen kodiert werden können: Das Spektrum zwischentextueller Beziehungen reicht von textgenetischen Prozessen auf der Mikro-, Meso- und Makroebene über intratextuelle und intertextuelle Verweise bis hin zu interdis-kursiven Bezügen, die ihrerseits skalierbare Reichweiten aufweisen. Insofern dies nicht allein für Mu-sil-Texte gilt, versteht sich der interdiskursive Kommentar als exemplarisches, über Musil hinaus praktikables Modell.