Qualitätsrat für den Nationalen Bildungsbericht definiert fünf Leitprinzipien zum Umgang mit herausfordernden Entwicklungsfeldern des Bildungssystems
Jedes Jahr erstellen Bildungsexpert:innen den Nationalen Bildungsbericht. Begleitet wurden sie dabei im Jahr 2024 erstmals von einem Qualitätsrat. Der dritte Teil des Berichts befasst sich mit vier zentralen Entwicklungsfeldern: Quereinstieg von Lehrpersonen, Künstliche Intelligenz, Demokratiebildung sowie datenbasierte Schul-/Unterrichtsentwicklung. Aus den daraus gewonnenen Erkenntnissen haben die Mitglieder des Qualitätsrats fünf Leitprinzipien abgeleitet, mit denen die Weiterentwicklung des österreichischen Bildungssystems gelingen soll.
Stefan Brauckmann-Sajkiewicz, Professor am Institut für Unterrichts- und Schulentwicklung der Universität Klagenfurt und Mitglied des Qualitätsrats des Nationalen Bildungsberichts, betont dazu: „Künstliche Intelligenz verändert, wie wir uns organisieren und welchen Stellenwert verschiedene Formen des Wissens haben. Daten werden die Basis für Entscheidungen und der demographische Wandel bedingt, dass nicht nur klassisch ausgebildete Lehrer:innen in den Schulen unterrichten. Nicht zuletzt machen globale Krisen ein verstärktes Nachdenken über wirksame Vermittlungsangebote demokratischer Bildung an Schulen notwendig. Das Bildungssystem steht vor der Herausforderung, wie es damit Schritt hält und sich positiv weiterentwickelt.“
Vor diesem Hintergrund haben die Mitglieder des Qualitätsrats (Barbara Schober / Universität Wien, Stefan Brauckmann-Sajkiewicz / Universität Klagenfurt, Jana Groß Ophoff / Pädagogische Hochschule Vorarlberg, Gerda Hagenauer / Universität Salzburg und David Kemethofer / Pädagogische Hochschule Oberösterreich) Leitprinzipien formuliert, die – durchaus vernetzt – den Umgang mit vielen Entwicklungsfeldern im Bildungssystem betreffen.
Als erstes Leitprinzip formuliert der Qualitätsrat die evidenzorientierte Gestaltung und Begründung von Bildung: „Die Gestaltung von effektiven Lernumgebungen nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen ist ebenso hochprofessionell wie beispielsweise Tätigkeiten in der Medizin. Bildungsmaßnahmen sollten daher von Evidenz informiert und nicht aufgrund politischer Präferenzen initiiert und wieder gestoppt werden – dies gilt für die Aus-, Fort- und Weiterbildung von Lehrenden ebenso wie für Schul-, Unterrichts- und Qualitätsentwicklung oder themenbezogene Maßnahmen.“
Die Herausforderungen für das Bildungssystem sind durchaus komplex. Dementsprechend soll gemäß des zweiten Leitprinzips diese Komplexität akzeptiert und angemessen mit Zeit umgegangen werden: „Es braucht den Mut, sich die Komplexität der Zusammenhänge bewusst zu machen und nachhaltige Reformen zu initiieren, deren Wirkungen zwingend Zeit brauchen, um sich zu entfalten. Mit einzelnen ‚Projekttagen‘ […] werden die Herausforderungen nicht zu bewältigen sein“, betonen die Mitglieder des Qualitätsrats.
Damit nicht nur geredet und an Konzeptpapieren gearbeitet wird, empfiehlt der Qualitätsrat, als drittes Leitprinzip die Implementierung im Fokus zu haben und ganzheitlich zu agieren: „Wenn Reformen nicht nur Leuchttürme, sondern Lichtermeere hervorbringen sollen, braucht es nachhaltige, ganzheitliche Umsetzungs- und Implementierungskonzepte statt traditioneller ‚Bereitstellungslogik‘.“ An verschiedenen Stellen des Bildungssystems brauche es Ressourcen, Rahmenbedingungen und Kompetenzen, um Neues auch umzusetzen.
Das vierte Leitprinzip regt an, Wertschätzung und Empowerment als zentrale psychologische Parameter zu bedenken. Insbesondere vor dem Hintergrund der Quereinstiegs in den Beruf als Lehrer:in werden die Teams in den Schulen vielfältiger. „Hier wird es Schritte brauchen, um Schulentwicklungs- und Professionalisierungsprozesse zu gestalten, um Schulteams zu entwickeln, die miteinander wachsen und sich in ihrer Heterogenität bereichern“, so die Mitglieder des Qualitätsrats. Sie führen weiter aus: „Wenn wir Akteur:innen des Bildungssystems motivieren wollen, neue Wege zu gehen, müssen wir ihnen die Kompetenz dafür zuschreiben (und sie ihnen auch zuverlässig vermitteln) sowie an ihrer gesellschaftlichen Anerkennung, ihrem Professionsbewusstsein und ihrer Professionalisierung arbeiten.“
In eine ähnliche Kerbe schlägt das fünfte Leitprinzip, das empfiehlt, Lebenslanges Lernen als Selbstverständnis professionellen Handelns und als Grundhaltung der Lernenden zu vermitteln. Insbesondere die Themen KI, Demokratie und Datenkompetenz erfordern laufendes Lernen; im Kontext des Bildungssystems ist zu hinterfragen, ob die bisherigen Rahmenbedingungen dafür ausreichen: „Es wird zu diskutieren sein, wie kontinuierliche Fort- und Weiterbildung (auch mit Fokus auf selbstbezogenes, reflektiertes Wissen und die Fähigkeit, sich selbst zu verändern) systematischer als bisher in der Schule und in der berufsbegleitenden Professionsentwicklung adressiert werden können.“
„Auch wenn die genannten fünf Leitprinzipien an sich nicht neu sind, wäre eine konsistente und systematische Umsetzung ein wünschenswertes Novum“, schließen die Mitglieder des Qualitätsrats. Die im Nationalen Bildungsbericht diskutierten Entwicklungsfelder bleiben also in ihrer Gesamtheit hoch relevant: „Es besteht dringender Handlungsbedarf, um sie aus Sicht des Bildungssystems proaktiv mitzugestalten, statt nur zu reagieren.“
Zur Publikation: https://www.researchgate.net/publication/387338905_Entwicklungsfelder_fur_das_osterreichische_Bildungswesen_im_NBB_2024_Synthese_und_Ausblick