Psychologische Unterstützung per (Video-)Telefonie bereitstellen

Die aktuellen Bedrohungen, die von der Verbreitung des Coronavirus ausgehen, sind nicht nur für unsere körperliche, sondern auch für unsere seelische Gesundheit belastend. Das Psychotherapeutische Forschungs- und Lehrzentrum (PFLZ) der Universität Klagenfurt kann in dieser Situation noch einige Behandlungsplätze anbieten. Interessierte können unter +43 463 2700 1619 bzw. pflz [at] aau [dot] at Kontakt aufnehmen. Wir haben mit der wissenschaftlichen Leiterin des Zentrums Sylke Andreas über die Herausforderungen der Krise für die Psyche gesprochen.

Das Interview wurde am 17. März geführt und am 18. März veröffentlicht.

Was wissen wir darüber, wie es uns Menschen in einer solchen Krise psychisch ergeht?

Um Antworten darauf zu finden, können wir auf die Erkenntnisse der Traumaforschung blicken. Wir wissen, dass die menschliche Psyche in so einer Situation im Regelfall sehr gefasst reagiert. Erst wenn das traumatische Ereignis vorüber ist, zeigen viele Symptome. Darin liegt zwar nicht meine Kernexpertise, aber aus meiner klinischen Erfahrung kann ich das bestätigen. So sagen viele: Während des Traumas habe ich funktioniert, die emotionale Verarbeitung folgte erst später.

Wer leidet dann also später mehr, und wer weniger?

Es gibt sowohl Risikofaktoren als auch Schutzfaktoren. Die Verarbeitung ist sehr individuell. Menschen mit gewissen lebensgeschichtlichen Faktoren, die bisher gut aufgehoben und psychisch gut entwickelt waren, kommen besser durch so eine Situation wie andere. Wir nennen diese psychische Widerstandskraft „Resilienz“.

Derzeit scheint das Gefühl der Angst viel zu dominieren. Welche Funktionen hat Angst und wann wird sie zu viel für die menschliche Psyche?

Die normale Angst ist sehr wichtig, denn sie schützt uns vor Gefahren. Wenn wir am Berg auf einer Felsklippe stehen, bekommen wir Angst und treten zur Sicherheit reflexartig einen Schritt zurück. In der klinischen Psychologie kennen wir aber auch die pathologische oder krankmachende Angst, die dadurch definiert ist, dass sie übermäßig ist. In der aktuellen Situation wäre dies beispielsweise die Hypochondrie. Unsere Handlungen und Entscheidungen sind derzeit von einer großen Unsicherheit dominiert. Man beobachtet sich genau, fragt sich, ob der Husten oder Schnupfen schon gefährlich ist, ob die Körpertemperatur noch normal ist. Die Grenzen verschwimmen momentan.

Wie ergeht es in diesen Tagen jenen, die bereits unter einer Angsterkrankung leiden?

Für Menschen mit einer Angstgrunderkrankung ist es noch schwieriger, mit der aktuellen Situation umzugehen. Meine klinische Erfahrung bestätigt das momentan. Unser Schwerpunkt im Psychotherapeutischen Forschungs- und Lehrzentrum sind Patientinnen und Patienten mit Angsterkrankungen und depressiven Erkrankungen. Seit gestern haben wir, so wurde es mit der therapeutischen Leiterin Caroline von Korff besprochen, auf videobasierte und telemedizinische Behandlung per Telefon und per Video umgestellt. Unsere Patientinnen und Patienten können uns weiterhin über diese Medien erreichen. Darüber hinaus können wir in der aktuellen Krisensituation noch Kapazitäten für einige weitere Personen zur Verfügung stellen, denen wir im Moment auch kostenlos helfen können. Da wir allerdings keine reine Versorgungseinrichtung, sondern ein universitäres Forschungs- und Lehrzentrum sind, bieten wir Behandlungsplätze im PFLZ unter der Voraussetzung an, dass sich Patient*innen einverstanden erklären, dass die aus der Behandlung gewonnenen Daten anonymisiert wissenschaftlich ausgewertet werden. Die Ergebnisse kommen dadurch sowohl der Wissenschaft wie auch (durch die daraus ableitbaren Erkenntnisse) wieder den Menschen zugute.

Funktioniert videobasierte Psychotherapie genauso gut wie die therapeutische Behandlung mit persönlichem Kontakt?

Ja, dazu kann ich Erfreuliches berichten: Ich behandle eine Frau seit 2,5 Jahren. Sie lebt in Deutschland. Rund ein Jahr standen wir in persönlichem Kontakt, und ich habe sie mit psychodynamischer Psychotherapie behandelt. Seitdem ich in Klagenfurt bin, behandle ich sie videobasiert. Wir haben wöchentliche Messungen, die zeigen, dass die videobasierte Psychotherapie genauso gute Erfolge zeigt, sowohl bei der Symptomreduktion als auch bei der gleichbleibenden therapeutischen Beziehung. Die Erkenntnisse aus dieser Einzelfallstudie werde ich demnächst publizieren. Man muss bei diesem Fall natürlich anmerken, dass ich die Person vorher schon lange begleitet hatte, als wir auf die videobasierte Behandlung umstellten. Darüber, wie eine videobasierte psychodynamische Psychotherapie funktioniert, die ganz zu Beginn bei der Diagnose des Patienten bzw. der Patientin beginnt, wissen wir leider noch nichts.

Welchen Stellenwert hat die Psychotherapie per Telefon oder Videokonferenz denn in Normalzeiten?

Der österreichische Bundesverband sagt bislang klar, dass ein Fernbehandlungsverbot in Österreich gilt. Dieses ist aber in der aktuellen Coronavirus-Situation ausgesetzt, um den Menschen in der sozialen Isolation, von denen wir annehmen müssen, dass sie besonders leiden, ein adäquates Angebot zu machen.

Zum Abschluss die Frage: Wie kann man sich Ihrer Meinung nach für die herausfordernden Wochen psychisch rüsten?

Der Kern des Problems ist bestimmt die soziale Isolation. Ich würde empfehlen, alle Medien zu nutzen, die es uns ermöglichen, mit anderen in Kontakt zu bleiben. Stellen Sie Ihre Kommunikation auf Telefon oder Videotelefonie um. Bleiben Sie im Austausch mit anderen. Darüber hinaus gilt es zu betonen: Alle, die unter keiner Quarantäne stehen, können noch immer allein oder mit den Menschen in ihrem Haushalt hinaus ins Freie gehen und frische Luft schnappen. So können wir auch unser Immunsystem stärken und etwas für unsere körperliche Gesundheit tun.

Zur Person

Sylke Andreas ist Universitätsprofessorin für Klinische Psychologie und Psychotherapie am Institut für Psychologie. Ihre Forschungsschwerpunkte sind psychodynamische Psychotherapieprozesse, Mentalisierung im Rahmen der Mentalisierungsbasierten Psychotherapie, Intersession-Prozesse sowie psychodynamisch-psychosoziale Versorgung. Sie ist wissenschaftliche Leiterin des Psychotherapeutischen Forschungs- und Lehrzentrums der Universität Klagenfurt und selbst als Psychotherapeutin tätig.

Sylke Andreas

Kontaktaufnahme mit dem Psychotherapeutischen Forschungs- und Lehrzentrum:

+43 (0)463 2700 1619
pflz [at] aau [dot] at
http://pflz.aau.at/