Nachhaltigkeit beginnt in der Schule: 25 Jahre ÖKOLOG als starkes Netzwerk

Vor einem Vierteljahrhundert knüpften nachhaltigkeitsinteressierte Akteur:innen im Bildungssystem die ersten Knoten, heute ist ÖKOLOG ein lebendiges Netzwerk aus mittlerweile 800 Schulen und allen Playern im Bildungssystem in ganz Österreich. Franz Rauch, wissenschaftlicher Leiter von ÖKOLOG, erzählt im Interview, warum Bildung und Nachhaltigkeit in der Schule durch engagierte und reflektierende Lehrer:innen vorangebracht werden und die Kraft des Netzwerks eine  „Superpower“ ist.

Das Netzwerk ÖKOLOG gibt es nun seit 25 Jahren. Bevor wir in die Entstehungsgeschichte eintauchen, die Frage: Können Sie für unsere Leser:innen ein illustratives Beispiel dafür nennen, was ÖKOLOG heute tut?

Das kann ich gerne! ÖKOLOG hat mittlerweile einen breiteren inhaltlichen Rahmen, der sich auf alle Sustainable Development Goals bezieht. Heute ist klar: Wir brauchen letztlich auch eine starke Demokratie, um nachhaltig und ökologisch als Gesellschaft zu funktionieren. Deshalb wähle ich als Beispiel ein Projekt aus diesem Bereich. Die Volksschule Wölfnitz in Klagenfurt setzt seit mehreren Jahren auf eine starke Demokratisierung in der Schule. Die Kinder sind dabei ernst genommene Akteur:innen, die auf verschiedenen Ebenen mitdiskutieren und mitentscheiden. Dieses Projekt begleitet meine Kollegin Mira Dulle auch mit ethnographischer Forschung im Rahmen ihrer Dissertation. Dabei geht es auch darum herauszufinden: Welche Strukturen in der Schule fördern das Vorhaben? Wie lernen die Schüler:innen – durch Input, durch eigenes Ausprobieren, durch Nachahmen der Erwachsenen? Wie lernen die Lehrer:innen und was lernen wir alle aus ihren Reflexionen? Das Projekt illustriert einige der Grundprinzipien von ÖKOLOG.

Welche sind das? Und wie weit reichen diese in der Entstehungsgeschichte des Projekts zurück?

Lange vor dem ersten Projektstart von ÖKOLOG gab es das internationale ENSI Projekt (Environment and School Initiatives). ENSI wurde auf Ausschreibung der OECD unter anderem von Peter Posch, einem der Gründerväter unseres heutigen Instituts für Unterrichts- und Schulentwicklung, im Jahr 1984 als Projekt vorgeschlagen. Damals nahm ökologisches Bewusstsein in der Gesellschaft an Bedeutung zu – weshalb sich auch die OECD, die eigentlich einen ökonomischen Schwerpunkt hatte, sich dazu berufen fühlte, ökologische Aspekte aufzugreifen. Als man ENSI entwickelte, gab es drei Leitprinzipien, die auch heute noch einen hohen Stellenwert haben und selbst vierzig Jahre später noch sehr modern klingen: „Umwelt als Ort persönlicher Erfahrung erleben“, „Umwelt als Inhalt interdisziplinären Lernens und Forschens untersuchen“ und „Umwelt als Gegenstand gesellschaftlich bedeutsamen Handelns gestalten“. Aus der Umweltbildung entwickelte sich das Konzept von „Bildung für Nachhaltige Entwicklung“, das in verschiedenen Ländern unterschiedlich umgesetzt wird. Wir haben mit ÖKOLOG später daraus ein einzigartiges Leuchtturmprojekt auf die Beine gestellt, das bis heute dynamisch wächst und Wirksamkeit entfaltet.

„Mittlerweile sind rund 800 Schulen, also circa 13 Prozent aller österreichischen Schulen – von den Volksschulen bis zu den Berufsbildenden Höheren Schulen – in ÖKOLOG involviert.“

Wie funktioniert ÖKOLOG heute?

ÖKOLOG ist ein Netzwerk. Am wichtigsten sind dabei die Schulen: Mittlerweile sind rund 800 Schulen, also circa 13 Prozent aller österreichischen Schulen – von den Volksschulen bis zu den Berufsbildenden Höheren Schulen – in ÖKOLOG involviert. Was uns aber von ähnlichen Netzwerken in anderen Ländern unterscheidet, ist die Einbindung von allen Akteuren im Bildungssystem: Alle vierzehn Pädagogischen Hochschulen in Österreich sind an Bord, darüber hinaus ist – in der Steiermark – die Bildungsdirektion stark involviert. Begleitforschung und Evaluation sind ein tragender Bestandteil von ÖKOLOG im Sinne reflektierter Praxis und eines Brückenschlages zwischen wissenschaftlicher Forschung und Praxis.  Von Anfang an war auch die Verbindung mit dem Bildungsministerium eng. Um ein Beispiel zu nennen: Günther Pfaffenwimmer war in den 1980iger Jahren Lehrer und Umweltaktivist und wurde für die Leitung des ENSI Teams Österreichs – bestehend aus Lehrer:innen unter wissenschaftlicher Leitung von Peter Posch – ins Bildungsministerium geholt. Später war Günther Pfaffenwimmer für die gesamte Umweltbildung im Bildungswesen zuständig und immer eng mit ÖKOLOG verbunden. Als ich in den 1980er Jahren als Biologie-Lehrer an einem ENSI-Seminar zu umweltorientiertem Projektunterricht auf Schloss Schlaining im Südburgenland teilgenommen habe, habe ich ihn dort kennengelernt. Ich wurde nach meiner Dissertation an der Universität Graz zum Thema Umweltbildung selbst Mitglied des ENSI-Teams und habe dort Aktionsforschung kennengelernt und die erste Grundlagenstudie zu ÖKOLOG verfasst. Mittlerweile ist Günther Pfaffenwimmer längst in Ruhestand; mit Hanna Malhonen haben wir nun eine starke Unterstützung für Bildung für nachhaltige Entwicklung im Bildungsministerium. Sie nennt ÖKOLOG ihre „Superpower“.

Wie wird eine Schule Teil des ÖKOLOG-Netzwerks – und damit dieser „Superpower“?

Der Einstieg ist sehr niederschwellig: Oft gibt es zu Beginn eine kleine Gruppe von zwei bis drei Lehrer:innen, die Initiativen im Unterricht und an der Schule umsetzen möchten, die auf die SDGs abzielen. Immer wieder gibt es auch Schwerpunktthemen, die wir ausrufen. Zurzeit lautet das Schwerpunktthema „Gesellschaft. Wandel. Gemeinsam. Gestalten.“. Oft ist es Projektunterricht, der entwickelt und implementiert wird. Unterstützend stehen Regionalteams in allen Bundesländern bereit, die die Ansprechpersonen für die Schulen sind. Wichtig für uns ist, dass die Lehrer:innen  eine partizipative, forschende und reflektierende Haltung entwickeln, die ihr professionelles Handeln fördert. Dieser Vorgang korrespondiert mit Aktionsforschung, von der wir annehmen, dass sie ein entscheidender Aspekt von zusätzlicher Professionalisierung im Bildungssystem ist. Die Schulteams verfassen jährlich einen reflektierten kurzen Bericht über ihre Aktivitäten. Inzwischen sind tausende Berichte auf der Website zu finden. Das ist ein einzigartiger und riesiger Fundus für Lehrer:innen,  Lehrerbildner:innen und auch die Forschung.  Darin unterscheiden wir uns auch international von anderen Projekten.

Üblicherweise gibt es ja eine Lücke zwischen Forschenden und Beforschten.

Wir versuchen bei ÖKOLOG Brücken zwischen Forschung und Praxis zu bauen. Es gibt seit einigen Jahren eine Arbeitsgruppe, die sich damit beschäftigt, wie Forschung und Wissenschaft in die Praxis wirksam eingebracht werden können. Dazu passt auch, dass wir zurzeit im Netzwerk der ÖKOLOG-Pädagogischen-Hochschulen an einem Buch arbeiten, das aus Beiträgen auf Basis ausgewählter Masterarbeiten zum Thema BNE und ÖKOLOG besteht. Es wird nächstes Jahr im Waxmannverlag erscheinen.  Im ÖKOLOG-Leitungsteam ist es besonders die Rolle der Universität Klagenfurt, Begleitforschung zu gestalten, die von qualitativen Fallstudien, über Analysen bis zu Fragebogenerhebungen reicht. Diese erfolgt auch im Rahmen internationaler Entwicklungs- und Forschungsprojekte. Neben hochwertigen Publikationen ist es uns sehr wichtig, dass diese Forschungsergebnisse in die Weiterentwicklung der Schulpraxis und des Netzwerks einfließen. Ein wissenschaftlicher Beirat unterstützt uns dabei.

Wie groß ist das bundesweite Koordinationsteam?

ÖKOLOG wird im Rahmen der Leistungsvereinbarung mit der Universität Klagenfurt vom Bildungsministerium basisfinanziert. Damit wird das Netzwerk im Team mit Mira Dulle und Petra Korenjak mit insgesamt etwas mehr als einer Stelle – gemeinsam mit einem Team im Bildungsministerium – koordiniert. Ein Teil meiner Arbeitszeit fließt zusätzlich in das ÖKOLOG-Netzwerk ein. Wir kümmern uns grundsätzlicher gesprochen darum, die Menschen in dem Netzwerk ins Gespräch zu bringen und bieten Unterstützung durch verschiedene Maßnahmen an, beispielsweise Netzwerktreffen, Website, Materialien, Social Media.

„Wenn es enger wird, wird der Zusammenhalt stärker. Das ist wohl auch ein Grund dafür, dass es uns mittlerweile schon seit einem Vierteljahrhundert gibt.“

Sie betonen immer wieder den Netzwerkgedanken. Was macht dieses ÖKOLOG-Netzwerk so stark?

Wir sind kein exklusiver Zirkel, sondern wir wollen mit einer hohen Breite zeigen, dass man kooperativ sehr viel erreichen kann. Weil wir so viele Akteur:innen im Netzwerk haben, gibt es eine  große Zahl von Kompetenzen und Stärken, auf die wir aufbauen können. Damit das Netzwerk lebt, sind jährliche Treffen der neun Bundesländerteams in Präsenz und online sowie ÖKOLOG-Veranstaltungen für Schulen in den Bundesländern, an denen neben Workshops die ÖKOLOG-Zertifikate für Schulen verliehen werden, von großer Bedeutung. Das Thema Ökologie genießt auch nicht in allen politischen Strömungen die gleiche Unterstützung. In der Vergangenheit hat sich aber schon gezeigt: Wenn es enger wird, wird der Zusammenhalt stärker. Das ist wohl auch ein Grund dafür, dass es uns mittlerweile schon seit einem Vierteljahrhundert gibt.

Letztlich ist Ihr Ziel ja, Bewusstsein für Nachhaltigkeit in die Bildung zu integrieren, damit zukünftige Generationen auch nachhaltiger handeln. Sehen Sie hier Erfolge in diesen 25 Jahren?

Was sich gesellschaftlich entwickelt hat, lässt sich natürlich nicht auf einzelne Maßnahmen zurückführen. Umweltbildung und Bildung für nachhaltige Entwicklung sind mittlerweile in allen Lehrplänen sehr gut verankert. Wir sehen aktuell bei vielen jungen Menschen ein starkes Nachhaltigkeitsbewusstsein, das auch nicht beim Aufzeigen von Problemen Halt macht, sondern konstruktiv zu Lösungen beiträgt. Das freut mich natürlich aus meinen vielen Rollen heraus: vom Biologielehrer bis hin zum wissenschaftlichen Leiter dieses ÖKOLOG-Netzwerks.

Die Strukturen an Schulen lassen oft wenig Beweglichkeit zu. Wie ergeht es den ÖKOLOG-Lehrer:innen innerhalb ihrer Schulen?

Wir haben von Anfang an Bildung für Nachhaltige Entwicklung mit Schulentwicklung gemeinsam gedacht. Das setzen auch viele Schulen  – in unterschiedlichem Ausmaß um: Sie implementieren nicht nur neue Projekte, sondern nehmen Umweltbildung, BNE und verwandte Ansätze, wie Global Citizenship Education oder Klimabildung,  auch in ihr Schulprofil mit auf. ÖKOLOG bietet einen niederschwelligen Einstieg. Mit einem kleinen Projekt ist die Schule schon dabei. Durch die Unterstützung des Netzwerks steigt die Chance, dass Bildung und Nachhaltigkeit Teil der Schulkultur wird. Unsere Analysen zeigen, dass mit diesem whole school approach bedeutsame und nachhaltige Entwicklungen angestoßen werden können. Letztlich sind es auch Ressourcen, die viele Dinge leichter machen: So gibt es in manchen Schulen Zeitressourcen für Lehrer:innen, die in die Projekte eingebracht werden können. Dafür braucht man auch das Commitment der Schulleitungen.

„Je mehr in einer Schule – auch aus verschiedenen Perspektiven – diskutiert wird – desto eher erreicht man Wirkung im Unterricht.“

Müssen dann alle Lehrer:innen an einer Schule an einem Strang ziehen?

Dazu gibt es interessante Erkenntnisse aus der Forschung. Beispielsweise hat im Rahmen einer Dissertation, die ich mitbetreut habe und die auch hochrangig international publiziert wurde, ein Forscher belgische Schulen zu Bildung für Nachhaltige Entwicklung untersucht. Ein Ergebnis war: Je mehr in einer Schule – auch aus verschiedenen Perspektiven – diskutiert wird – desto eher erreicht man Wirkung im Unterricht. Es geht also nicht nur darum, dass alle am selben Strang ziehen, sondern dass ein Thema lebendig präsent ist.

Sind Sie in allen Schultypen gleichermaßen vertreten?

In Summe sind alle Schultypen vertreten, aber es gibt natürlich Gewichtungen. So scheint es beispielsweise für Volksschulen weniger Hürden zu geben als für Berufsschulen, die mit ihrem Kurssystem andere Unterbrechungsmuster in ihrer Struktur haben und deshalb weniger leicht zu gewinnen sind. In Tirol haben wir aber beispielsweise auch dort schon einige Schulen an Bord.

Wie wird sich das ÖKOLOG-Netzwerk nach Ihren Prognosen weiter entwickeln?

Inhaltlich wird ÖKOLOG weiter nicht allein auf ökologische Themen fokussieren, sondern auch auf diverse gesellschaftliche, soziale, ökonomische, globale Fragen von Nachhaltigkeit abzielen. Wir sehen am Zustand der Welt: Es gibt viel zu tun! Wir beobachten bei der Zahl der teilnehmenden Schulen nach wie vor eine ungebrochene Dynamik. Und es hat sich auch schon in vielen Bereichen gezeigt, dass das Netzwerk gut mit dem Wechsel von Generationen – auf regionaler und nationaler Ebene – umgehen kann.