Stephan Dickert

Mehr Unterstützung für Corona-Maßnahmen bei breitem politischem Konsens


Zu Jahresbeginn 2020 machten Menschen auf aller Welt die gleiche Erfahrung: Die Bewegungsfreiheit wurde eingeschränkt. Man konnte nicht mehr treffen, wen man wollte, Grenzen wurden geschlossen und ganze Branchen heruntergefahren. Die Politik, die diese Maßnahmen zu verkünden hatte, stand vor der Herausforderung, wie man möglichst viele Menschen zur Mitwirkung motivieren kann. Stephan Dickert (Institut für Psychologie) ist Teil einer internationalen Forschungsgruppe, die nun untersucht hat, unter welchen Bedingungen die Akzeptanz von Einschränkungen am größten war. Dabei wurde auch die Rolle von Expert*innen untersucht.

Welchen Expert*innen vertrauen Sie eigentlich in dieser Pandemie, Herr Dickert?

Ich habe weiterhin großes Vertrauen in wissenschaftliche Antworten auf die Pandemie. Dies inkludiert die medizinische Forschung zu Vakzinen und Erkennung der Mutationen genauso wie die Forschung zum menschlichen Verhalten und der Risikowahrnehmung. Wenn diese Erkenntnisse durch wissenschaftliche Expert*innen der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, vertraue ich natürlich auch den Ratschlägen, die auf dieser Forschung aufbauen.

Wir haben derzeit eine starke Polarisierung in der Gesellschaft. Viele Menschen stellen die Pandemie und die Maßnahmen dagegen in Frage und haben kein Vertrauen in Politik und Expert*innen. Ist das überall gleichermaßen der Fall?

Für unsere Studie haben wir 13.000 Personen in den USA, Schweden, Italien, Brasilien, Israel, Südkorea und Großbritannien befragt. Es zeigte sich ein relativ einheitliches Bild, was die Polarisierung angeht, obwohl die politischen Systeme und auch die Corona-Strategien unterschiedlich sind. Es gab in allen untersuchten Ländern den Befund, dass man eher die Maßnahmen unterstützt, die von dem eigenen politischen Lager vorgeschlagen werden. Kommen dieselben Maßnahmen aus dem gegenüberliegenden Lager, unterstützt man diese nicht mehr so. Der Effekt war ein wenig stärker in einigen Ländern, zum Beispiel Schweden, Italien und den USA, und ein wenig schwächer in anderen, zum Beispiel in England. Generell war der Effekt aber stabil. Das bedeutet, dass man besonders dann wenig Vertrauen in die Maßnahmen hat, wenn diese von den Gruppen und Parteien durchgesetzt werden, zu denen man sich selbst nicht zählt. Im Fall der USA ist dies besonders deutlich zu beobachten, da die Maßnahmen des jetzigen Präsidenten Joe Biden, die viel forschungsbasierter, aber eben auch strikter sind als noch unter Ex-Präsident Donald Trump, die Gesellschaft weiter zu spalten drohen. Der öffentliche Diskurs ist dabei besonders schwierig, da die neuen Varianten des Virus die Lage mehrfach verändert haben und die Inzidenzraten trotz der Maßnahmen weiterhin sehr hoch sind. Da fällt es den Impfgegnern leichter, die Impfkampagne und andere Maßnahmen als übertrieben oder sogar sinnlos zu sehen. Dabei wird dann übersehen, dass die Lage ohne diese Maßnahmen vielleicht noch viel schlimmer sein würde.

Die politische Landschaft in den USA ist stark durch die zwei Lager – Konservative und Liberale – geprägt, die in der Corona-Politik in vielen Punkten diametral gegensätzlich sind. Welche Auswirkungen hat das politische System und deren Haltung auf die Akzeptanz von pandemieeindämmenden Maßnahmen?

In einem politischen System wie in den USA, mit nur zwei großen Parteien, ist eine Polarisierung schwieriger zu vermeiden. Jedoch erscheint diese Polarisierung bei den COVID-Maßnahmen nicht vom politischen System abhängig zu sein. Es ist generell vorteilhaft, wenn ein möglichst breites politisches Spektrum die Pandemiebekämpfung mitträgt.

Österreich ist hier in einer schwierigen Lage, oder?

Man kann sehen, dass die Agitation von rechtspopulistischen Parteien und anderen Impfgegnern bei bestimmten Bevölkerungsgruppen Wirkung zeigt: Ein gewisser Prozentsatz von Menschen kann nicht mehr dafür gewonnen werden, die Maßnahmen einzuhalten.

Können uns Expert*innen noch aus dieser Sackgasse befreien?

Im Schnitt ist das Vertrauen der Menschen höher, wenn die Politik Expert*innen bei der Entwicklung von Maßnahmen und insbesondere bei deren Kommunikation einbindet. Vertrauenswürdige Expert*innen können dazu beitragen, die Lager aufzubrechen.

In den vergangenen zwei Jahren haben wir als normale Medienkonsument*innen viele unterschiedliche Expert*innen mit teilweise auch divergierenden Einschätzungen kennengelernt. Können wir mit diesen Widersprüchen umgehen?

Für den wissenschaftlichen Prozess des Erkenntnisgewinns ist es wichtig und gut, dass es Widersprüche, Zweifel und immer wieder neue Ansätze gibt. Wir sind in den letzten zwei Jahren auch Zeug*innen eines enormen Zugewinns von Wissen geworden und konnten beobachten, wie Ansätze auch wieder verworfen und neu diskutiert werden mussten. Viele Menschen kennen diese Form des wissenschaftlichen Diskurses jedoch nicht. Auch hierzu braucht es Aufklärungsarbeit.

Das Aufkommen der jüngsten Virusmutation Omikron hat gezeigt, dass wir erst sicher vor dem Virus sind, wenn wir global betrachtet alle davor sicher sind. Das kann noch dauern. Wie kann man langfristig psychologisch dazu motivieren, dass möglichst viele an einem Strang ziehen?

Es stimmt, wir sehen aktuell, dass viele Menschen damit anfangen, aus der Pandemiebekämpfung auszubrechen. Ich glaube, dass es sehr wichtig ist, dass wir den Sinn in den Maßnahmen erkennen und uns dieser auch regelmäßig vor Augen geführt wird. Gleichzeitig muss man auch den Wert des eigenen Beitrags begreifen: Wenn ich meine FFP2-Maske ordentlich trage, dann aber andere Menschen sehe, welche die Maske unter der Nase tragen, hinterfrage ich: „Was bringt es dann, dass ich mich daran halte?“ Es ist notwendig, das gemeinsame Ziel von uns allen im Auge zu behalten, und dabei global zu denken.

Unsere sozialen Gefüge leiden zunehmend unter der Situation. Wie kommen wir da wieder raus?

Da die Pandemie eine Reaktion auf individueller, gesellschaftlicher und globaler Ebene erfordert, verhandeln wir täglich den Stellenwert von öffentlichen Gütern: Was ist uns wichtig? Die Auslastung der Krankenhäuser, die Beständigkeit der Wirtschaft, die Gesundheit der breiten Masse, aber auch einzelner? Die Konsequenzen der Pandemie treffen uns unterschiedlich: Gesundheitlich, emotional, sozial und wirtschaftlich. Die Polarisierung der Gesellschaft ist auf jeden Fall nicht hilfreich, um gemeinsam durch die Pandemie zu kommen. Je weniger die Maßnahmen von der Bevölkerung mitgetragen werden, desto länger hält die Pandemie an. Vor dem Hintergrund wird sich am Ende zeigen, ob der ehemalige deutsche Gesundheitsminister recht hatte, dass wir uns am Ende der Pandemie einander viel zu verzeihen haben.

Alexandra Flores, Jennifer C. Cole, Stephan Dickert, Kimin Eom, Gabriela M. Jiga-Boy, Tehila Kogut, Riley Loria, Marcus Mayorga, Eric J. Pedersen, Beatriz Pereira, Enrico Rubaltelli, David K. Sherman, Paul Slovic, Daniel Västfjäll, and Leaf Van Boven (2022). Politicians polarize and experts depolarize public support for COVID-19 management policies across countries, PNAS January 18, 2022 119 (3) e2117543119; https://doi.org/10.1073/pnas.2117543119.

Zur Person



Stephan Dickert ist Universitätsprofessor für Allgemeine Psychologie und Kognitionsforschung am Institut für Psychologie. Er forscht zu angewandter Kognitionspsychologie, Entscheidungsforschung, Risikowahrnehmung und Wirtschaftspsychologie.