Livia Hofstätter – Der Klang der Gitarre und ich.

Livia Hofstätter

Der Klang der Gitarre und ich

 

Ich hörte leise hinter der verschlossenen Türe des Nähzimmers meiner Mutter, wie die Nähmaschine ratterte. Zu meiner Freude nähte sie an meinem Kostüm für einen Geburtstag. Ich saß gerade auf dem Teppichboden im Flur und schaute verträumt dem Staub zu, wie er in der Sonne im Raum glitzerte. Mein Vater arbeitete zu diesem Zeitpunkt gerade vorne in unserem Laden. Nach kurzer Zeit hörte das gleichmäßige, ruhige Rattern der Maschine auf. Ich realisierte es erst nach einiger Zeit, als die Tür des Zimmers, in dem meine Mutter gerade noch genäht hatte, aufsprang. Sie sah mich mit einem verwunderten und leicht kritischen Blick an und sagte: „Sag mal, hast du schon wieder am Boden gesessen? Du weißt doch, dass das dein Kleid zerknittert.“ Ich hatte mich zwar schon vor einigen Minuten auf die kleine Bank vor dem Zimmer gesetzt, weil ich wusste, wie ungern Mutter es sah, wenn ich auf dem Boden saß, denn ihrer Meinung nach gehört sich das nicht. Aber woher wusste sie denn, dass ich auf dem Boden gesessen hatte? Einige Minuten zerbrach ich mir darüber den Kopf, doch mir wollte beim besten Willen nichts einfallen, woran sie es erkannt haben könnte. Nachdem sie ihre kurze Pause in unserem Garten beendete, kam sie zurück ins Haus, um ihre Näharbeit fortzuführen. Ich wusste, dass meine Mutter mir eine Hose und ein Oberteil nähte, doch was für ein Kostüm es am Ende werden sollte, wusste, glaube ich, keiner so genau. So konnte ich mir wenigstens ausdenken, was für ein Kostüm es werden sollte. Doch mir kam eine Idee in den Sinn, wie ich es verschönern könnte, wenn es mir nicht gefallen würde. Also ging ich in unseren großen, verwilderten Garten. Es wehte ein leichter und warmer Wind. Er fegte durch die rauschenden Blätter unseres großen Nussbaumes. Die Blüten der zahlreichen Margeriten, die bei uns im Garten wuchsen, bogen sich leicht im Frühjahrswind. Ich ging an unserem Apfelbaum vorbei, hinter unser Haus. An den Rosenbüschen entlang zu unserem riesigen Kirschbaum. So stand ich also mit suchendem Blick vor der großen Baumkrone, um mir zwei Blüten zu suchen, die ich mir zur Verschönerung meines Kostüms ins Haar stecken könnte. Nachdem ich zwei meiner Meinung nachpassende Blüten gefunden hatte, machte ich mich auf den Weg zurück ins Haus, um zu sehen, wie weit meine Mutter mit meinem Kostüm war. Ich legte die Blüten behutsam auf einen kleinen Schrank im Flur, damit sie nicht kaputt gehen würden. Die Türe des Nähzimmers meiner Mutter war geöffnet und genau in dieser Minute trat meine Mutter mit zwei Kleidungsstücken auf dem Arm aus dem Zimmer. Mein Kostüm war fertig. Ich war schon so gespannt darauf, wie es aussehen würde und ging schnell in mein Zimmer, um es anzuprobieren. Es war ein nichtssagendes Kostüm und ich konnte nicht erkennen, was es sein sollte. Ich war gerade dabei, mir die Kirschblüten in meine Frisur zu stecken, als meine Mutter ins Zimmer kam, um mir eine Überraschung zu geben. Es war eine kleine Gitarre mit Saiten aus Plastik. Ich nahm sie und hoffte, dass sie so schön klingen würde, wie ich die Töne einer Gitarre im Kopf hatte. Doch als ich an einer Saite zupfte, erklang zu meiner Enttäuschung nur ein dumpfer nichtssagender Ton. Da ich immer noch nicht wusste, was das für kein Kostüm sein sollte (auch wenn meine Mutter meinte, ich wäre ein Musiker), überlegte ich mir bereits krampfhaft, was ich sein könnte. Ich kam am Ende zu dem Schluss, dass ich selbst der wunderschöne Klang einer Gitarre sei. Die Blumen im Haar sollten dies unterstützen und so gehörte nun schlussendlich auch die Gitarre zu meinem Kostüm, denn ohne sie hätte ich als Klang ja nicht existieren können.