Hilfsgütertransport | Foto: Pei Lin/Fotolia.com

Katastrophenhilfe: Vorbereitet ist man 18 Tage schneller vor Ort

Millionen von Menschen sind jährlich von natürlichen oder durch Menschen ausgelösten Katastrophen betroffen. Auf solche Ereignisse gilt es gut vorbereitet zu sein, so die Empfehlung des Logistikforschers Gerald Reiner, der mehrere Studien zum Katastrophenmanagement durchgeführt hat.

Hilfe und Überlebenschancen hängen von der schnellen Einsatzbereitschaft von Regierungen und internationalen Hilfsorganisationen ab. Schon die ersten Stunden nach einer Katastrophe sind entscheidend für den Erfolg dieser Hilfseinsätze. Je schneller gut organisierte Hilfe vor Ort ist, desto höher sind die Überlebenschancen der betroffenen Menschen. Noch einmal schwieriger wird es, wenn Menschen in Entwicklungsländern von Katastrophen betroffen sind. Oft arbeiten die lokalen Regierungen nicht effizient und effektiv mit den Hilfsorganisationen zusammen. Schlechte Infrastruktur und Sicherheitsprobleme sind weitere Hemmschwellen für eine schnelle und koordinierte Hilfe.

Katastrophen sind kaum zu verhindern. Wenn das Katastrophenmanagement jedoch gut funktioniert, hilft dies, die humanitären Auswirkungen und Schäden möglichst gering zu halten. Gute logistische Katastrophenvorbereitung ist also der Schlüssel zu früher und organisierter Hilfe. „Die ‚klassische‘ Vorbereitung, nämlich die Errichtung von Lagern mit Hilfsgütern in Gebieten und Ländern, die katastrophenanfällig sind, ist nicht die alleinige Lösung sämtlicher Probleme“, erklärt Gerald Reiner (Institut für Produktions-, Energie- und Umweltmanagement): Einerseits, weil die Kosten einer solchen präventiven Lagerhaltung hoch sind und die gelagerten Produkte oft durch beschränkte Haltbarkeit gekennzeichnet sind, andererseits, weil Zeit und Ort einer Katastrophe von vielen Unsicherheiten geprägt sind.

Es gilt daher als sinnvoll, Katastrophenmanagement (Disaster Management Capabilities – DMC) und die entsprechende Logistik in Kombination mit der Lagerung von Hilfsgütern im Vorfeld zu optimieren, um im Ernstfall eine bestmögliche Verteilung von Ressourcen sicherzustellen. Mittel hierzu können zum Beispiel regelmäßige Trainings der HelferInnen, die Verhandlung von Zollvereinbarungen im Vorfeld oder die Harmonisierung von Import-Verfahren in Ländern mit erhöhter Katastrophenanfälligkeit sein. Ein solches vorbereitendes Management sei allein schon deshalb sinnvoll, weil die entwickelten und erlernten Fähigkeiten und Management-Techniken nicht nur in einem konkreten Katastrophenfall, sondern weltweit immer wieder eingesetzt werden könnten, so Reiner. Auf diese Weise könnten auch Lerneffekte implementiert und die Abläufe kontinuierlich verbessert werden. Dies garantiere ein hohes Maß an Einsatzbereitschaft mit einem effizienten Mitteleinsatz.

Analyse verschiedener Szenarien führt zu Best Practice
Gerald Reiner, Nathan Kunz und Stefan Gold untersuchten den Transportprozess von hochkalorischen Nahrungsmittelpaketen („ready-to-use therapeutic food“ – RUTF) in Katastrophengebiete direkt nach einem Katastrophenfall. Die RUTF-Logistik haben sich die Forscher deshalb zum Thema gemacht, da diese leichten, sicher verpackten und kalorienintensiven Nahrungsmittel eine schnell wachsende Bedeutung bei den Hilfslieferungen haben. Anhand verschiedener Vorbereitungsszenarien analysierten sie unterschiedliche Formen der Katastrophen-Bereitschaft.

Die proaktive Risikoabsicherung im humanitären Bereich sieht sich einer recht spezifischen Herausforderung gegenüber: Hilfsgelder und Spenden stehen oft nur zur Verfügung, wenn eine Katastrophe schon eingetreten ist, das Geld für vorbereitende Aktivitäten fehlt jedoch zumeist. Oft sind Spenden auch an eine direkte Katastrophenhilfe gebunden.

Mit Hilfe von System-Dynamics-Modellen haben die Forscher analysiert, wie Logistik und Transport von RUTF-Paketen in einem kombinierten Szenario von Lagerhaltung vor Ort und einer Verbesserung des vorbereitenden Katastrophenmanagements (DMC) optimiert werden kann. Die Primärdaten für die Berechnung lieferte eine Analyse der Arbeit von vier Hilfsorganisationen. Reiner, Kunz und Gold griffen auch auf Sekundärdaten von Webseiten und Berichterstattungen über frühere Katastrophen zurück. Dies erlaubte es ihnen, ein möglichst realitätsnahes Modell zu entwickeln.

Die Forscher fanden heraus, dass die vorbereitende Lagerung von Hilfsgütern vor Ort zwar schnelle Hilfe ermöglicht, die Kosten dafür jedoch hoch sind. Eine sinnvolle Ergänzung zur Lagerung vor Ort bilden vorbereitende Maßnahmen des Katastrophenmanagements (DMC). Gerald Reiner fasst zusammen: „Solche Maßnahmen können schnelle Hilfeleistungen bei gleichzeitig effizientem Einsatz finanzieller Mittel ermöglichen.“ Mit Hilfe ihrer Modelle zeigten die Forscher, dass durch vorbereitendes Management Hilfslieferungen bis zu 18 Tage schneller vor Ort sein können. Am effektivsten, so die Forscher, sei jedoch eine Kombination von Lagerhaltung vor Ort und vorbereitenden Management- Maßnahmen. „So können einerseits Hilfslieferungen schon sehr bald nach der Katastrophe vor Ort sein, andererseits ist die weiterführende Transport-Logistik durch Management-Maßnahmen gesichert“, führt Reiner aus.

Die Rolle von lokalen Regierungen
In einer weiteren Studie haben Gerald Reiner und Nathan Kunz die Rolle von lokalen Regierungen in der humanitären Transportkette untersucht. Oft werden internationale Hilfsorganisationen bei ihrer Arbeit in Katastrophengebieten behindert – und das beispielsweise durch ausufernde Bürokratie, Zollformalitäten und Importverbote. Reiner und Kunz haben anhand einer Untersuchung von 143 unterschiedlichen Hilfsprogrammen diese offiziellen Beschränkungen untersucht und anhand dessen jene Eigenschaften von lokalen Regierungen herausgefiltert, die in besonderem Maße zu Problemen führen. „Zu Restriktionen tendieren vor allem Regierungen mit einem fragilen Staatsgebilde und einer Mischung aus ineffizienter staatlicher Bürokratie und nicht gegebener demokratischer Legitimation“, fasst Reiner zusammen. Dieses Ergebnis bringt für humanitäre Hilfsorganisationen wichtige Erkenntnisse, besonders in Hinsicht auf eine optimale Vorbereitung von humanitären Einsätzen in solchen Ländern. Beispielsweise können dadurch mögliche Probleme bereits im Vorfeld durch das Aufbauen von „Vertrauen“ mit den staatlichen Institutionen beseitigt werden. Ein weiterer positiver Aspekt wäre, dass dieses Wissen der Hilfsorganisationen auch kommerziellen Unternehmen die Anbahnung von Geschäftstätigkeiten erleichtern könnte.

für ad astra: Annegret Landes