KaraNet Transparent an der Uni-Fassade | Foto: Unplug

KaraNet: Die Urform von Facebook

In den 1990er Jahren entwickelten Studierende der Informatik das im deutschsprachigen Raum erfolgreichste Bulletin Board-System, das zu einem Online-Wohnzimmer für Zigtausende werden sollte. Die KaraNet BBS existiert bis heute und glänzt mit dem Retro-Chic bunter Buchstaben auf schwarzem Untergrund – ohne Buttons oder Bilder. ad astra ist den Spuren des KaraNet nachgegangen und hat gefragt, was heute davon übrig ist.

Wie es die Logik der Geschichte will, findet man den aktuellsten öffentlichen Austausch zum KaraNet auf dessen Facebook-Seite: Der 20-jährige Geburtstag, den die Plattform Anfang 2014 beging, findet zumindest den Widerhall von 43 Gefällt-mir-Klicks und 22 Kommentaren von nostalgischen (ehemaligen) Nutzerinnen und Nutzern. Einer von ihnen spricht vom KaraNet als „Urform von Facebook“. Für die meisten NutzerInnen war die Plattform ein virtuelles Wohnzimmer, in dem man sich in Foren und im Chat mit Gleichgesinnten austauschte. Man fühlte sich nie allein, war stets in Gesellschaft. Man gab viel weniger von sich preis, als man das heute in den sozialen Medien tut, aber immerhin genug, um für andere greifbar zu sein. Die Community hatte, trotz hoher Besucherzahlen, immer den Charme des Überschaubaren und Heimeligen. Das KaraNet hat in einer Zeit vor dem Web 2.0 eine Funktion erfüllt, die später für Social-Media-Plattformen zu einem Milliardengeschäft werden sollte.

1994 sind die Studierenden mit den Usernamen Brisi, Captain, Hunter, KillerLoop und Lecky angetreten, ein Programm zu entwickeln, um „Onlinekonversationen und -diskussionen so einfach und unterhaltsam wie möglich zu gestalten“. Die Universität unterstützte mit technischer Infrastruktur. Johann Eder, Professor am Institut für Angewandte Informatik, gab den Studierenden die Möglichkeit, an dem Projekt zu arbeiten mit der Auflage, „maximal zwei Stunden in der Woche dafür zu verwenden“, da sie sonst „kaum zum Studieren“ kämen.

Das ursprüngliche KaraNet war auf Sun-Computern programmiert; Computern also, die heute kaum mehr zu finden sind. In den nächsten zehn Jahren sollte sich das Programm großer Bekanntheit und Beliebtheit erfreuen: KaraNet wurde zum Veranstalter von Studierendenparties in Klagenfurt, die erste stieg am 9. März 1995. Die (kleineren) KUSse (Kara-Net User-Stammtische) expandierten in der Folge auch in andere österreichische Städte wie Graz, Linz, Leoben und Wien. Einen für die KaraNet-Betreiber rätselhaften Boom gab es ab 1996 in Mexiko. Seine Blütezeit erreichte das Programm von 1997 bis 2001, als über 50.000 registrierte Benutzerinnen und Benutzer gezählt wurden. Das Admin-Team wurde entsprechend erweitert und über 15 AdministratorInnen, von denen jeweils mindestens zwei bis drei in den größeren Städten Österreichs die Fäden zogen. Mit dem Aufkommen von Webforen, Messengern wie ICQ und anderen Technologien verlangsamte sich das Wachstum dann. 2004 kam es zu einem Zusammenbruch der Server-Infrastruktur, und ein neues KaraNet, das JKara, ging online. „Plötzlich war das KaraNet weg. Da kam schnell der Ruf, dass es eilig wieder neu aufgebaut werden müsse – etwas, was in einem vierzehntägigen Programmiermarathon gelang“, erzählt Matthias Hoffmann, der unter seinem Nicknamen „Hope“ auch heute noch als Administrator tätig ist.

Besonders für Datenschutzbegeisterte ist das KaraNet ein guter Ort. „Bei der voll verschlüsselten Kommunikation mit unserer textbasierten Plattform auf Java-Basis verwenden wir einen 2048 Bit-SSH-Schlüssel. Die Daten auf KaraNet sind also sehr sicher geparkt“, so Hoffmann. Auch wenn die Urväter und späteren AdministratorInnen bevorzugt über technische Details sprechen, war das KaraNet für die meisten nicht technisch versierten Nutzerinnen und Nutzer vor allem ein Ort des sozialen Austausches. Hinter den Codes versteckt sich zum Teil die Geschichte einer ganzen Generation von Studierenden, deren persönliche Schicksale auch vielfach von den Onlineund Offline-Bekanntschaften geprägt wurden. So erzählt man sich beispielsweise, dass die erste durch KaraNet gestiftete Ehe 2002 von den Usern Mafalda und Bimbo geschlossen wurde; der erste KaraNet-Nachwuchs sollte 2003 folgen.

„Das KaraNet war Zeit seines Lebens in einem Sperrholzkästchen in einem der Computergänge an der AAU geparkt. Eines Tages übersiedelte der Computer an das Institut für Angewandte Informatik, wo seither SOL Invictus (alias Stephan Leitner) das Projekt unterstützt. Mittlerweile läuft das Programm auf einem virtuellen Server“, so Hoffmann. „Das Projekt verteilt sich immer mehr: Aus einem Strahl werden zehntausende Rinnsale. Die meisten ehemaligen Nutzerinnen und Nutzer haben mittlerweile Berufe und Familien und finden kaum noch Zeit für das Projekt. Viele von ihnen fühlen sich aber dem KaraNet noch immer verbunden.“ Loggt man sich nun in die Plattform ein, findet man tagsüber noch immer drei bis zehn UserInnen, die online sind. Sie sind diejenigen, „die einfach da sind und das Ding am Leben erhalten. Sie posten hin und wieder etwas, tauschen sich aus.“ Bis heute ist das erfolgreichste Forum der „Blödelbär“, wo Alltägliches und Humoristisches gepostet wird. Das zwanzigjährige Jubiläum habe man nicht mit einer eigenen Party begangen, sondern „es hat uns begangen“, erzählt Hoffmann. Noch immer finden in schöner Regelmäßigkeit die Stammtische statt, sie werden aber seltener.

Hoffmann, der auch Schriftführer im „Verein zur Förderung der Internetkommunikation“ ist, gesteht ein, dass man versäumt habe, Nachwuchs für das KaraNet zu gewinnen: „Wir haben zum falschen Zeitpunkt nicht weitergemacht.“ Wäre das Team vor zehn Jahren auf den Web-2.0-Zug aufgesprungen, stünden sie heute vielleicht an Mark Zuckerbergs Stelle. Die Plattform wäre dann aber auch nicht das, was sie heute ist: ein Juwel für Retro-Fans, und vielleicht ein zukünftiges Projekt für jene, die daran weiterarbeiten möchten. Die „alten Damen und Herren“ des KaraNet, allen voran auch Projektleiter Heimdall (alias Wolfgang Lukas), laden weiterhin zu ihrer „kleinen, feinen Gemeinschaft“ ein – und sind auch offen gegenüber Neuem.

für ad astra: Romy Müller

Der KaraNet Client ist besonders für Windows-NutzerInnen ein einfaches, schnell installiertes Werkzeug, um in die BBS einzusteigen – er ist unter www.karanet.at abrufbar. Dort finden zukünftige UserInnen auch die wichtigsten Befehle, um das Tool zu bedienen. Mac und Linux-User brauchen nichts zu installieren, ihre Systeme bringen schon einen SSH-Client mit! Anleitungen findet man auf www.karanet.at. Die BetreiberInnen freuen sich über Feedback unter help [at] karanet [dot] at.


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