Konzeptlernen | Foto: aau/Müller

Ist eine Pflanze ein Lebewesen?

Kinder entwickeln in der Regel erst zwischen 9 und 11 Jahren ein Verständnis für diese Abstraktion und beantworten die Frage mit „Ja“. Gertraud Benke hat das dahinter stehende Konzeptlernen untersucht. Dazu hat sie mit der Volksschule St. Veit und der Lehrerin Andrea Holzinger zusammengearbeitet.

Das Klassenzimmer, in dem Andrea Holzinger ihre Forscherstunden abhält, ist offen gestaltet: Tischgruppen sind aufgestellt, dazu ein Sesselkreis. Der Lehrertisch ist zur Seite gerückt. Die Kinder
der altersgemischten Montessori-Klasse experimentieren mit einem Metalldraht, einem Becher mit Wasser und einer Münze. Die Jüngeren von ihnen benötigen mehr Unterstützung durch die Lehrerin Andrea Holzinger, die Älteren werken im Team und notieren ihre Ergebnisse auf vorgedruckten Bögen. Holzinger hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Sachunterricht weiterzuentwickeln, indem sie das forschende Lernen stärker als bisher forciert: „Ich möchte die Kinder zum Fragen bringen. So lernen sie zeitgemäßer und nachhaltiger.“

In diesem Umfeld hat Gertraud Benke, Forscherin am Institut für Unterrichtsund Schulentwicklung, ihre Studie durchgeführt. Ausgangspunkt war das Projekt „Green Composites for Schools“ (GreCos), bei dem es um die Vermittlung des Themas „Nachhaltige Rohstoffe“ ging. Andrea Holzinger nahm daran teil. Holzinger arbeitete dabei mit der Methode des „story tellings“: Sie hatte gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern eine Fortsetzungsgeschichte über die Figur Xanawi entwickelt, die gemeinsam mit einem Zauberer und einem Frosch die (vorwiegend naturwissenschaftliche) Welt entdeckt. Nun galt es, in die Welt der Pflanzen einzutauchen.

Benke begleitete das Projekt wissenschaftlich. Der Vergleich von Anfangsund Abschlusserhebungen zeigte dabei, dass sich das Pflanzenbild der Kinder stark weiterentwickelt hat. Benke ging von der Grundannahme der wissenschaftlichen Literatur aus, dass sich in dieser Entwicklungsphase die kindlichen, naiven Vorstellungen über Pflanzen hin zu einem abstrakteren, konzeptuellen Denken verändern. Während sie also bei Jüngeren zur Antwort bekam, dass Pflanzen rot, blau oder grün seien, nannten ältere Kinder schon Stängel und Blätter als Merkmale, und noch Ältere gaben das Wachsen aus der Erde als zentrales Charakteristikum an. Erst wenn dieses Konzeptlernen eingesetzt hat, können Kinder Pflanzen auch als Lebewesen kategorisieren; davor sind in der Regel Tiere die prototypischen Lebewesen.

Für Benke ist beim Konzeptlernen vor allem das Einnehmen einer veränderten Position gegenüber den Dingen von Bedeutung. „Wenn man beispielsweise einen Stift visualisieren soll, stellt man sich, so die Perzeptionsforschung, den Stift so vor, wie er vor einem liegt und wie man ihn ergreifen würde. Kinder stellen sich die Erde meist so vor, wie sie auf ihr stehen und sich umschauen, also meist wie eine Ebene. Um ein ‚richtiges‘ Bild von der Erde zu erhalten, muss man sie aber aus dem Weltall betrachten. Man muss also den Standpunkt und die Perspektive verändern, um eine Kugel zu sehen“, so Benke.

Die erlernten Konzepte prägen nachhaltig das Denken der Kinder. So hat Benke beispielsweise einen hegenden, pflegenden „Gärtner-Zugang“ zur Natur bei vielen interviewten Schülerinnen und Schülern festgestellt: Auf die Frage, ob die Pflanzen die Menschen zum Überleben brauchen, haben viele Kinder festgestellt, dass es ohne den Menschen den Pflanzen schlecht ginge, da sie sonst einander überwuchern würden. Außerdem meinten sie unter Rückgriff auf den Gaskreislauf, dass die Pflanzen die Menschen brauchen, da sie sonst „keine schlechte Luft“ zu verarbeiten hätten.

Ähnliches beobachtete auch Andrea Holzinger, die, gefragt nach der Sinnhaftigkeit des Themas Nachhaltige Rohstoffe in der Volksschule, ausführt: „Mit dem richtigen Konzept kann es auch gelingen, schon früh bei ökologischen Fragestellungen anzusetzen. Wir haben uns dem über die Funktionen von Pflanzen angenähert und gezeigt, dass Pflanzen mehr sind als Nahrungsmittel. In einer Einheit haben die Kinder gemeinsam mit einem Ingenieur Alltags-Objekte gestaltet, die auf einem 3-D-Drucker ausgedruckt wurden. Da war das Thema der nachwachsenden Rohstoffe sehr wichtig: Was kann Holz, was Plastik nicht kann?“

für ad astra: Romy Müller