Kinder in der Informatikwerkstatt

Informatik losgelöst vom Computer sehen

Als 1985 in Österreich der Informatik-Unterricht in den ersten Schulen eingeführt wurde, ahnte man noch nicht, welche Bedeutung digitale Kompetenzen erlangen würden. Wir haben mit dem Informatikdidaktiker Andreas Bollin darüber gesprochen, welche Bildungslücken weiterhin offen sind und wie wir ihnen begegnen können.

Seit dem Schuljahr 2018/19 werden flächendeckend an Österreichs Neuen Mittelschulen und Allgemeinbildenden Höheren Schulen zwei bis vier Wochenstunden dem Fach „Digitale Grundbildung“ gewidmet. Das zuständige Bildungsministerium führt auf dessen Website an, dass Kompetenzen aus folgenden Bereichen erworben werden sollen: „gesellschaftliche Aspekte von Medienwandel und Digitalisierung, Informations-, Daten- und Medienkompetenz, Betriebssysteme und Standard-Anwendungen, Mediengestaltung, digitale Kommunikation und Social Media, Sicherheit, technische Problemlösung, Computational Thinking.“ Wer denkt, dass damit genug getan sei, um die nachfolgende Generation auf die Herausforderungen des digitalen Zeitalters vorzubereiten, irre aber, so Andreas Bollin, Vorstand des Instituts für Informatikdidaktik an der Universität Klagenfurt.

Kulturtechnik Informatisches Denken
Wir fragen ihn danach, welche Stellung die Informatik in der Bildung von jungen Menschen einnehmen soll, und er verweist schon zu Beginn unseres Gesprächs auf einen Artikel von Jeannette M. Wing, Professorin für Informatik an der Columbia University in New York, der die Grundidee von Computational Thinking, dem Informatischen Denken, zusammenfasst. Sie schreibt dort (ins Deutsche übersetzt): „Informatisches Denken ist eine grundlegende Fähigkeit für alle, nicht nur für Informatiker. Ergänzend zu Lesen, Schreiben und Rechnen sollten wir jedem Kind Informatisches Denken als notwendige analytische Fähigkeit vermitteln. So wie der Buchdruck die Ausbreitung von Lesen, Schreiben und Rechnen erleichtert hat, sollten gemäß dieser Vision – gewissermaßen selbstreferenziell – Computing und Computer die Ausbreitung des Informatischen Denkens erleichtern.“

Das klinge nach viel, räumt der Informatikdidaktiker ein, und führt weiter dazu aus: „Jeder von uns sollte zumindest grundlegend wissen, worum es in der Informatik wirklich geht. Dann kann man auch gut informiert und mündig entscheiden, ob man sich in dem Bereich vertiefen und dieses Berufsfeld anstreben möchte.“ Doch was macht nun dieses vielzitierte Informatische Denken aus und braucht man ein Tablet oder einen PC, um es zu erlernen? Andreas Bollin klärt hier auf: Es gehe nicht um das Programmieren an sich, sondern um Denkprozesse, die Menschen dabei helfen sollen, Probleme und deren Lösungswege so zu beschreiben, dass diese dann von anderen Menschen – und natürlich auch Computern – behandelt werden können. Der Computer sei nur ein möglicher Stakeholder. Grundtechniken des Informatischen Denkens seien die Fähigkeiten, Probleme zu abstrahieren, sie in einzelne Pakete zu zerlegen, Muster zu erkennen und schließlich einen Weg der Problemlösung klar und eindeutig zu beschreiben. Der letzte Schritt ist Teil der Algorithmisierung und kann, wenn in die richtige Form gebracht, in der Regel von einem Rechner verarbeitet werden. Für alle Schritte davor brauche es, so Bollin, häufig nur einen Zettel und einen Stift.

Qualifizierte Lehrkräfte
Der Mitteleinsatz wäre also gar nicht so hoch, wie er derzeit von der Politik propagiert wird, zumindest in der Lesart von Andreas Bollin. Im Gegensatz zu Ländern wie England, wo Kinder bereits ab dem Kindergarten mit Informatik in Berührung kämen, gäbe es in Österreich – selbst nach der Einführung des Fachs „Digitale Grundbildung“ – noch viel zu tun. Bollin sieht die Notwendigkeit, Medienkompetenz sowie Anwenderfähigkeiten zu vermitteln, wird aber nicht müde zu betonen, dass es gerade das „richtige Bild der Informatik“ wäre, das es zu verbreiten gelte. Später im Gespräch wird er gar von der „Schönheit der Informatik“ sprechen, die sich einem nicht dadurch erschließen könne, wenn man mittels Google und Wikipedia Online-Recherche übe oder sich mit Datensicherheit auf den Sozialen Netzwerken auseinandersetze. Die Probleme, warum dies bis dato nur unzureichend gelingt, sieht er unter anderem in der fehlenden Ausbildung vieler Lehrkräfte: Bis heute wird Informatik an höheren Schulen von vielen Lehrerinnen und Lehrern unterrichtet, die selbst noch nicht Informatik studiert haben und die daher – trotz vieler wichtiger Fortbildungen – nicht das Gesamtbild des Fachs im Blick haben können. „Diese Lehrkräfte leisten wertvolle Arbeit, es wäre aber wichtig, noch mehr studierte InformatiklehrerInnen in den Klassen zu haben.“ Sie wären auch die Voraussetzung dafür, ein eigenes Fach „Informatik“ ab der 5. Schulstufe zu installieren.

Der Ruf aus der Wirtschaft nach mehr InformatikerInnen
Wirtschaftskammer, Industriellenvereinigung und diverse Fachverbände fordern schon seit gefühlten Jahrzehnten mehr ausgebildete Fachkräfte für den österreichischen Arbeitsmarkt. Die Rohstoffe Wissen und Information seien es, die die hiesige Wirtschaft am Laufen halten. Dabei genüge es nicht, Anwenderinnen und Anwender „zu produzieren“, sondern es brauche technisch-kreative Geister, die die Technologien der Zukunft gestalten. Das können sie nur in einer Gesellschaft tun, die positiv gegenüber technologischem Fortschritt eingestellt ist. Wir nennen das Beispiel der Künstlichen Intelligenz, die so manchen in Angst und Schrecken versetzt. „Wenn man informatisch denken kann, erkenne ich eher, wo die Grenzen solcher Systeme und Umgebungen sind. Und ich weiß, wie ich mich qualifiziert informieren kann“, erläutert Andreas Bollin. Mehr Wissen über Informatik bringe uns alle, davon ist er überzeugt, voran.

Gleichzeitig mit der Informatik gelte es, so Bollin, auch das Berufsbild des Informatikers bzw. der Informatikerin gerade zu rücken. Sie würden sich heute nicht mehr alleine in Kellern aufhalten und mit fahlem Teint ein Pizzaeck nach dem anderen verdrücken, sondern: „Informatikerinnen und Informatikern ist gemein, dass sie gerne Probleme lösen und dass sie das auch gerne in Gesellschaft tun. Heute sind Probleme so komplex, dass ein Kopf alleine nicht mehr viel weiterbringen kann. Wichtig ist auch die soziale Komponente: In der Regel löse ich die Probleme anderer Menschen.“ Und zum Werkstoff der Informatik erklärt er uns weiter: „Mein Stoff, mit dem ich arbeiten kann, ist die Information. Sie ist etwas Positives und lässt sich auch vielfach positiv einsetzen.“

für ad astra: Romy Müller

Zur Person

Andreas Bollin studierte Telematik an der Technischen Universität Graz. Er promovierte im Bereich Angewandter Informatik in Klagenfurt, wo er sich auch 2012 habilitierte. Er leitet zurzeit das Institut für Informatikdidaktik. Seine Forschungsschwerpunkte sind: Serious Games, Informatisches Denken, Programmieren, Kompetenz- und Reifegradmodelle in der Lehre und gender- bzw. persönlichkeitsoptimierter Unterricht.

Andreas Bollin | Foto: KK

Informatik-Werkstatt

Die Informatik-Werkstatt steht Informatikbegeisterten und solchen, die es noch werden wollen, mit einem vielfältigen Materialangebot, wechselnden Themenschwerpunkten und regelmäßigen Workshops zur Verfügung. Ziel ist es, neue Ideen und Erfahrungen zu ermöglichen und sowohl Kinder als auch Erwachsene zum Ausprobieren, Staunen, Forschen und Entdecken anzuregen. Die Informatik-Werkstatt ist freitags von 14:00 bis 16:00 Uhr von Oktober bis Ende Mai geöffnet. Es werden wöchentliche Themenschwerpunkte und Themenblöcke über mehrere Werkstatt-Termine angeboten. Individuelle Termine, Themen und Workshops sind nach Vereinbarung jederzeit möglich.

Weitere Infos und Anmeldung: www.aau.at/schuelerinnen-und-schueler/informatik-werkstatt/