EU-Forschung wird ganzheitlich

Mit dem neuen Forschungs- und Innovationsförderungsprogramm Horizon 2020 nimmt die EU rund 70 Milliarden Euro in die Hand, um die Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft zu meistern. In Österreich ist die Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft FFG „Nationale Kontaktstelle“ für die hiesigen WissenschaftlerInnen und EntwicklerInnen. Im Interview erklärt Andrea Höglinger, was zukünftig erforscht werden soll.  

Was wird mit Horizon 2020 gefördert?

Es gibt drei Säulen: „Wissenschaftliche Exzellenz“, „Führende Rolle der Industrie“ und „Gesellschaftliche Herausforderung“. Am höchsten dotiert ist die Säule der „Gesellschaftlichen Herausforderungen“. Im Bereich der „Wissenschaftlichen Exzellenz“ stehen die höchsten Budgets für den European Research Council ERC und die Mobilitätsprogramme zur Verfügung. Bei der „Rolle der Industrie“ geht es um die wirtschaftliche Marktführerschaft: Durch Forschung und Innovation die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft stärken, lautet das Motto. Neue marktorientierte Förderinstrumente für Klein- und Mittelbetriebe und die Förderung von Schlüsseltechnologien, wie Nano- oder Informationstechnologien stehen im Vordergrund. Diese sollen auch integrative Lösungsansätze für die gesellschaftlichen Herausforderungen liefern.

Welche gesellschaftlichen Herausforderungen möchte man in Angriff nehmen?

Konkret formuliert sind sieben Herausforderungen: „Gesundheit, Demographischer Wandel und Wohlbefinden“, „Europäische Bioökonomische Herausforderungen“, „Energie“, „Verkehr“, „Klimaschutz, Ressourceneffizienz und Rohstoffe“, „Integrative, innovative und reflexive Gesellschaften“ sowie „Sichere Gesellschaften“. Gegenüber dem 7. Rahmenprogramm hat sich der Blick verändert: Nicht Forschungsfelder stehen im Vordergrund, sondern Herausforderungen der Gesellschaft, für die es innovativer Lösungen bedarf.

Wie wurden die wunden Punkte, denen mit Forschung beizukommen sein soll, identifiziert?

Horizon 2020 basiert auf der EU-2020-Strategie, die bereits 2000 verabschiedet wurde. Investment in Forschung und Innovation spielt darin eine zentrale Rolle, um den europäischen Wirtschaftsstandort nachhaltig zu stärken. Eine der damals festgelegten Leitinitiativen ist die so genannte „Innovationsunion“. Zusätzlich gibt es natürlich „Advisory Groups“ (ExpertInnen aus den Mitgliedsländern) und Gremien aus VertreterInnen der Mitgliedsländer, die die Kommission in der Ausgestaltung der Programme unterstützen.

Wer kann daran mitarbeiten, diesen Herausforderungen zu begegnen?

Die EU setzt keine klaren disziplinären Prioritäten mehr; die Multi- und Interdisziplinarität steigt. Wenn ich mich beispielsweise in den Sozialwissenschaften mit der Mobilität der Menschen beschäftige und mich frage, wie sich Menschen unter welchen Umständen gerne fortbewegen, hat das sehr wohl eine Relevanz für die Frage, wie wir die Verkehrssysteme der Zukunft gestalten wollen. Bisher wäre das eher eine rein technische Fragestellung gewesen. Es geht mehr um eine ganzheitlichere Betrachtung von Herausforderungen.

Wie liegt Europa im Vergleich zu seinen KonkurentInnen USA und Asien?

Laut Studien ist Europa sehr gut im Produzieren von wissenschaftlichen Erkenntnissen, beispielsweise bei der Anzahl an Publikationen. Europa ist aber schlechter in der raschen Umsetzung der Erkenntnisse in Form von Dienstleistungen und Produkten für den globalen Markt. Statistiken zeigen beispielsweise auch, dass der Anteil Europas an den weltweiten F&E-Ausgaben rückläufig ist. Die stärkere Innovationsorientierung von Horizon 2020 und die neuen Instrumente für KMU zielen darauf ab, die gesamte Innovationskette zu unterstützen, von der Grundlagenforschung bis zum Markteintritt.

Wie sehr ist der Effekt von solchen Programmen messbar? Bilden sich beispielsweise die ca. 50 Milliarden Euro, die im 7. Rahmenprogramm investiert wurden, in der Wirtschaftsleistung Europas ab?

Ja, davon ist schon auszugehen, auch wenn ich jetzt keine konkreten Zahlen nennen kann. Insgesamt ist sichtbar, dass jene europäischen Länder, die mehr in Forschung und Entwicklung investieren, besser durch Krisenzeiten kommen. Hier gibt es eine klare Korrelation. Was in den letzten sieben Jahren entstanden ist, ist eine Vielzahl an Projekten, die eine ebenso große Vielzahl an Effekten erzielen konnte. Zum EU-Rahmenprogramm gibt es einen jährlichen Monitoringbericht, der online abrufbar ist. Für Horizon 2020 wird die „Impactorientierung“ an Bedeutung gewinnen. Sichtbar wird dies sowohl an den neuen innovationsorientierten Instrumenten, wie beispielsweise dem neuen KMU-Instrument, aber auch an den „Innovation Actions“. In der Evaluierung dieser Instrumente erhält das Kriterium Impact eine höhere Gewichtung.

Wer entscheidet über die Förderungen?

Die Projekte werden von – im Regelfall zwischen drei und fünf – unabhängigen EvaluatorInnen begutachtet.

EU-Programme gelten für Antragstellende oft als eine Art Geheimwissenschaft. Wird sich das bei Horizon 2020 verbessern?

Ja, das wird definitiv besser. Es gibt viele Vereinfachungen sowohl bei den Maßnahmen als auch bei der Kostenberechnung, Abrechnung usw. Die „time to grant“ von der Evaluierung bis zum Vertrag soll maximal 250 Tage dauern. Die Instrumente sind wesentlich vereinfacht – es gibt 100 Prozent oder 70 Prozent Förderung der direkten Kosten, und die Overheads werden mit 25 Prozent pauschal abgegolten. Das macht die budgetäre Projektplanung wie auch Abrechnung wirklich um vieles leichter. Insgesamt muss man aber auch sagen, dass die gesamte Welt der europäischen Förderprogramme komplex ist und es auch bleiben wird. Für diejenigen, die sich darin bewegen, wird es immer wichtiger, fundiert zu entscheiden, in welchem der Programme man gut aufgehoben ist. Das herauszufinden ist eine der größeren Herausforderungen. Aber dafür stehen wir in der FFG als Nationale Kontaktstelle auch gerne unterstützend zur Verfügung.

Erschienen in UNIsono/Dezember 2013

Zur Person



Andrea Höglinger ist Bereichsleiterin für europäische und internationale Programme bei der FFG. Sie koordiniert auch die Kontaktstelle Horizon 2020 in Österreich.

Hintergrund:

Horizon 2020 ist die wichtigste Forschungs- und Innovationsinitiative der Europäischen Union. Das Programm wird von 2014 bis 2020 laufen. Horizon 2020 folgt dem 7. EU-Rahmenprogramm, in demmit rund 55 Milliarden Euro cirka 19.000 Projekte mit insgesamt über 79.000 Beteiligten in allen EU-Mitgliedsstaaten umgesetzt wurden. Die Struktur von Horizont 2020 gliedert sich in 3 Säulen. Budgetär wichtigster Bereich sind die definierten sieben gesellschaftlichen Herausforderungen. Am 11. Dezember 2013 starteten die ersten „Calls“. Weitere Informationen unter http://www.ffg.at/europa