Gender gibt’s nicht, gibt’s nicht.

Roswitha Hofmann berät unter anderem Hochschuleinrichtungen und Forschungsteams dabei, Diversitäts- und Geschlechterrelevanz in der Forschung zu identifizieren. Zwei Aspekte stehen dabei im Vordergrund: der Forschungsinhalt und das Forschungsteam. Im Interview spricht sie darüber, dass zumindest in einem Aspekt Gender immer eine Rolle spielt. Mitte November bietet sie für Bedienstete der Universität Klagenfurt einen Workshop an.

Ist die Beachtung von Gender- und Diversitätsaspekten in Forschungsprojekten nach wie vor exotisch oder ist die Beschäftigung damit mittlerweile selbstverständlich geworden?

Ich berate seit Anfang der Nullerjahre in diesem Feld. Damals wurde das Gleichbehandlungsgesetz in Österreich verabschiedet, und es ist mehr Nachfrage nach Unterstützung entstanden. In den letzten Jahren haben sich die Hochschul- und Forschungspolicies im europäischen Raum immer stärker auf diese Thematiken fokussiert. Das liegt auch daran, dass die in der Agenda 2030 festgeschriebenen Social Development Goals auf soziale Gleichstellung und Antidiskriminierung abzielen, was auch in den Hochschulraum hineinfließt. Wir können uns vor dem Hintergrund der aktuellen Krisen keine Ausschlüsse von Menschen leisten, die mit ihrer Expertise und ihren Erfahrungen zur Wissensgenerierung und Innovation beitragen könnten. Daher sind auch die Vorgaben zu Gender und Diversität strikter geworden, bis hin zum Ausschlusskriterium, wenn man bei Förderanträgen keine diesbezügliche fachlich fundierte Reflexion nachweisen kann.

Dennoch gibt es doch Forschung, bei der Geschlecht keine Rolle spielt. Ich denke da zum Beispiel an die Grundlagenforschung in der Mathematik.

Ja, es gibt solche Felder, in denen keine Menschen in irgendeiner Weise von der Forschung unmittelbar betroffen oder in diese involviert sind. Hier ist die Contentrelevanz nicht gegeben. In solchen Fällen rate ich dazu zu argumentieren, wie man sich über die Gender- und Diversitätsrelevanz fachlich fundiert Gedanken gemacht hat. Dass Geschlecht keine Relevanz in einem bestimmten Forschungsvorhaben hat, ist also immer fachlich zu begründen.

Kann diese fehlende Contentrelevanz dennoch zum Nachteil der Einreicher*innen sein?

Ja, das kann passieren, wenn keine fachliche Begründung angeführt wird, also nicht dargelegt wird, das Geschlecht keine Relevanz hat, weil … . Das WEIL ist fachlich glaubwürdig zu begründen. Es kann aber auch nachteilig sein, wenn man etwas an den Haaren herbeizieht, was fachlich nicht nachvollziehbar ist. Man sollte sich immer auf gute Unterlagen stützen, aber auch offen argumentieren, wenn eine Forschung vorerst keine Auswirkungen auf Menschen hat. Oft kommt die Genderrelevanz erst zutage, wenn es Anwendungsfälle gibt. Dann kann man die Reflexion wiederholen. Forschung ist ja immer ein Prozess.

Neben den Inhalten sind es aber immer Menschen, die in den Forschungsprojekten arbeiten.

Beim Forschungsteam und der Organisation von Forschung wird Geschlecht und Diversität immer eine Rolle spielen. Hierzu wird man im Sinne eines Nachweises immer eine Aussage tätigen müssen. Häufig geht es dabei um gender balance. Das greift meines Erachtens zu kurz, weil dabei nur Männer- und Frauenköpfe gezählt werden. Sinnvoller ist es nachzuweisen, in welchen Funktionen diese Personen sind und welche Aufgaben sie erfüllen, welche Entwicklungsmöglichkeiten sie im Rahmen der Forschung haben etc..

„Aber wir finden ja keine Frauen“, hört man dazu immer wieder.

„Wir finden niemanden“, ist kein Argument. Stattdessen sollte man argumentieren, wie und wo man wie gesucht hat, welche Bewerbungen man erhalten hat und mit welchen Kriterien man den Auswahlprozess vorgenommen hat. Der fördernden Organisation geht es um Transparenz. Es sollen nicht in einer Blackbox die immer gleichen Personen rekrutiert werden, die den Projektkoordinator*innen am besten zu Gesicht stehen. Das führt zu den Schieflagen, mit denen wir nach wie vor zu kämpfen haben. Stattdessen müsste man bewusst dort suchen, wo sich Personen aufhalten, die in bestimmten Fachbereichen in der Minderheit sind. Außerdem sollten die Forscher*innen fähig sein, die vielen Unterstützungsstrukturen der Hochschulen mit ihren Projektvorhaben zu verknüpfen und Antworten auf folgende Fragen zu geben: Wer ist wofür verantwortlich? Wie wird vorgegangen, wenn es einen Diskriminierungsfall gibt? Auf welche hausinternen Ressourcen und Regelungen kann zurückgegriffen werden?

Gibt es einen Unterschied bei den Fächern? Können also Sozialwissenschaftler*innen besser mit diesen Anforderungen umgehen als Naturwissenschaftler*innen?

Wir sehen Unterschiede, was die Integration von Gender- und Diversitätsaspekten in der Ausbildung betrifft. Die Natur- und Technikwissenschaften haben vielerorts noch den Nachteil, dass solche Fragen nicht Teil ihrer Ausbildung sind und sie daher nicht in derselben Weise wie andere dafür sensibilisiert werden, was ihr Fachgebiet mit der Lösung von gesellschaftlichen Problemlagen zu tun hat. Da gibt es viel Nachholbedarf in der Curriculumsentwicklung.

Sie nennen Geschlecht und Diversität in einem Atemzug. Wie stehen die beiden Aspekte zueinander und welche Vielfalt ist mit Diversität gemeint?

In den Policies steht Geschlecht meist im Vordergrund. Das wird meines Erachtens auch so lange so bleiben, wie diese strukturellen Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern bestehen. Diversität kommt zunehmend ins Spiel, weil Geschlecht mit anderen Differenzlinien verschränkt auftritt und weil gesellschaftspolitische Diskurse, zum Beispiel zu Rassismus oder Alterdiskriminierung, drängender werden. Letztlich geht es darum, alle Barrieren abzubauen, mit denen wir Menschen daran hindern, zum ökonomischen oder gesellschaftlichen Fortkommen beizutragen. Wir sollten in Anbetracht der komplexen Herausforderungen als Gesellschaft kein Wissen verlieren sondern Wissen und Erfahrungen verschränken. Aktuell stehen die Dimensionen Ethnizität, Alter und Behinderung stehen im Vordergrund, weil sie aufgrund von gesetzlichen Bestimmungen relevant sind.

Eine akademische Karriere ist aber nach dem traditionellen Schema altersdiskriminierend, sind doch bestimmte Schritte nur in einem bestimmten Alter denkbar. Wie passt das zu diesen Anforderungen?

Viele Forschungsförderungsorganisationen haben bereits reagiert und schon vor einigen Jahren die Altersgrenzen aus ihren Kriterien entfernt. Vielerorts ersetzt man das biologische Alter durch das akademische Alter, mit dem ich aufzeigen kann, wie viel ich in einem bestimmten Zeitraum, auch unter Beachtung von Karenzen, zu leisten imstande bin. Wir sehen hier eine laufende Sensibilisierung.

Wie können Menschen mit Behinderung besser in Forschungsteams integriert werden?

Das ist ein besonders schwieriges Feld. Wir haben es oft mit sehr hohen Geschwindigkeiten und technologischen Anforderungen zu tun, die in vielen Bereichen der Behinderung eine Schwierigkeit darstellen. Diese Geschwindigkeit nicht einhalten zu können, ergibt eine extreme Benachteiligung für Menschen mit Behinderung. Sie werden dadurch in ihrem Fortkommen behindert. Die Gleichstellung ist gesetzlich vorgegeben. Deshalb müssen sich die Universitäten im Diversitätsmanagement damit auseinandersetzen und an Lösungen arbeiten.

Wir betrachten solche Herausforderungen immer aus der EU-Brille. Wie ist es anderswo?

Im angloamerikanischen Raum sehen wir, dass die Diversitätsthematiken sehr viel intensiver als bei uns behandelt werden. Historisch gewachsen spielen dort „race“, und auch „class“, eine große Rolle. Auch die geschlechterbezogene Gesetzgebung in den USA kann man nicht mit Europa vergleichen; man ist dort viel vorsichtiger und umsichtiger. Im Vergleich dazu ist unser Antidiskriminierungs- und Gleichstellungsgesetz sehr schwach ausgeprägt. Offensichtlich wird das auch anhand der hohen Klagsforderungen, die in den USA für Diskriminierung oder sexuelle Belästigung möglich sind.

Zur Person


Roswitha Hofmann ist wissenschaftliche Beraterin zu organisationsbezogenen Diversitätsfragen, Hochschullektorin, Fachautorin und Forscherin in den Bereichen sozial- und wirtschaftswissenschaftliche Diversitätsforschung unter Nachhaltigkeitsperspektive und queer-feministische Technikforschung.

Zum Workshop Die Rolle von Diversität für meine Forschung für Bedienstete der Universität (von Roswitha Hofmann)


Gender, Diversität und Nachhaltigkeit sind Schlagworte, die Forscher*innen aus dem Wissenschaftsbetrieb kennen, diese nehmen jetzt auch – durch den „Green Deal“ auf EU-Ebene und durch die Aktualisierung der SDGs – in der Forschungsförderung einen zentraleren Stellenwert ein. So sind in den Nachhaltigkeitszielen (SDGs) Diversität und Gender zentrale Bezugsgrößen. Die Relevanz von Diversitätsüberlegungen für die Förderwürdigkeit von Projekten auf EU und nationaler Ebene, wie beim FFG, nimmt also wesentlich zu. Ein aktuelles Beispiel dafür ist der Gender Equality Plan für Horizon 2020 Projekte. Der Workshop bietet Unterstützung bei Drittmittelanträgen zur Frage: Wie integriere ich ‚neue‘ Richtlinien in Drittmittelanträge.

Donnerstag den 17. November 2022, 09:00 – 13:00 Uhr

Informationen und Anmeldung unter https://apollon.aau.at/course_detail.aspx?id=4442.