Empathie und Empowerment mit Videogames zu Fluchterfahrungen fördern

Kseniia Harshina (Institut für Informationstechnologie) entwickelt ein Virtual-Reality-Spiel, das erzwungene Migration und Flucht thematisiert. Das Projekt ist Teil des Ada-Lovelace-Programms, mit dem Nachwuchswissenschaftler:innen unterstützt werden, die interdisziplinär im Themenfeld „Humans in the Digital Age“ forschen.

Als Kseniia Harshina Bilder von Menschen sah, die während des russischen Einmarsches in die Ukraine im Februar 2022 in Kiewer U-Bahn-Stationen Schutz suchten, bemerkte sie auch einige, die ihre Laptops in der Hand hielten und Videospiele spielten. Das überraschte sie nicht, sondern war für sie ein Beweis dafür, welche Rolle Spiele in schwierigen Zeiten spielen können. Videospiele bieten einen sicheren Ort für Menschen“, erklärt sie. „Jeder wendet sich ihnen aus seinen eigenen Gründen zu – sei es, um Ablenkung, Trost oder sogar ein Gefühl der Normalität inmitten des Chaos zu finden.“

Die junge Ukrainerin kam 2020 nach dem Abschluss ihres Bachelorstudiums in Computer Software Engineering an der National Technical University of Ukraine für das Masterstudium Game Studies and Engineering nach Klagenfurt. Mittlerweile hat sie eine Prädoc-Stelle im Ada-Lovelace-Programm der Universität Klagenfurt inne (betreut von Judith Glück, Institut für Psychologie sowie Mathias Lux und Felix Schniz, Institut für Informationstechnologie). Im Rahmen ihres Doktoratsprojekts fragt sie sich, welchen Beitrag Videogames leisten können, um Fluchterfahrungen zu reflektieren und Empathie bei Menschen ohne Migrationshintergrund zu fördern.

Kseniia Harshina führt Interviews mit Menschen, die Zwangsmigration erlebt haben, um zu verstehen, was ein Videospiel zu diesem Thema aus ihrer Sicht beinhalten sollte. Sie betont, dass Krieg und Vertreibung oft mit einem Gefühl der Ohnmacht einhergehen. Videospiele können den Spieler:innen jedoch ein Gefühl der Handlungsfähigkeit in ähnlichen Kontexten vermitteln. Für viele ist der Schmerz dieser Erfahrungen tiefgreifend und schwer zu artikulieren. Durch die Interaktivität, die Videospiele bieten, wird es möglich, sich diese Erfahrungen neu vorzustellen und einen Raum zu schaffen, in dem Emotionen verarbeitet und Gefühle erkundet werden können, die sonst nur schwer auszudrücken sind. Sie nennt auch ein Beispiel: Die erneute Begegnung mit einem Grenzschutzbeamten in einem Spiel – diesmal aus einer Position der Selbstbestimmung – könnte eine therapeutische Möglichkeit sein, solche Interaktionen umzuschreiben.

Wenn Kseniia Harshina genügend Daten mit ihren Interviews und Fragebögen gesammelt hat, möchte sie auf Basis dieser Erkenntnisse einen Protoyp eines Videospiels, das Flucht und Migration thematisiert, bauen. Auf die Frage, ob es schon viele solcher Videogames gebe, erklärt sie: „Ja, es gibt Videogames zu allen Themen. In Wien hat sich sogar ein Unternehmen auf Games spezialisiert, die Fluchterfahrungen thematisieren.“

Auch für Menschen ohne eigene Migrations- und Fluchterfahrungen erwartet sie eine Erweiterung des Horizonts: „Wer auf diesem Weg nachvollzieht, was Menschen durchmachen, kann Empathie empfinden.“ Dass Videospiele dafür besonders prädestiniert seien, erklärt sich durch den interaktiven Charakter. Nicht wie in einem Roman oder einem Film sei man bloß emotionalisierte Zuseher:in oder Leser:in, sondern kann selbst agieren und damit die Geschichte des Spiels mitprägen. „Videospiele sind in diesem Sinne einzigartig“, so Kseniia Harshina, die selbst leidenschaftlich gerne spielt. Wir fragen nach, welche Spiele sie besonders faszinieren und erfahren: „Ich bin so fasziniert, ich mag sie alle. Auch aus einer wissenschaftlichen Perspektive begeistert mich so vieles, was Videospiele können.“

Für das Masterstudium Game Studies and Engineering hat sich Kseniia Harshina entschieden, weil es unterschiedliche Aspekte der Gaming-Kultur beleuchtet – von der Technik bis zu den Geistes- und Sozialwissenschaften. Der Umzug von Kiew nach Klagenfurt war eine große Umstellung, aber Videospiele blieben für sie eine konstante Quelle der Verbindung und des Trostes. Sie erklärt lachend: „Egal wo du bist, solange du spielen kannst, fühlt es sich wie zu Hause an.“

Auf ein paar Worte mit … Kseniia Harshina



Wann sind Sie mit sich selbst zufrieden?
Wenn ich Menschen helfen kann, die Stimmen anderer erhebe und eine Gemeinschaft aufbaue.

Was macht Sie wütend?
Die Welt macht mich oft wütend: Gleichgültigkeit gegenüber Unterdrückung, die Bevorzugung von Konformität und Gier gegenüber Akzeptanz und Gemeinschaft. Aber nichts macht mich so wütend wie Tyrannei und Kolonialismus.

Machen Sie richtig Urlaub? Ohne an Ihre Arbeit zu denken?
Dieses Jahr hatte ich tatsächlich einen! Meine Freunde und ich haben ein Haus am Meer in Kroatien gemietet. Das Haus war mehr als 100 Jahre alt. Wir haben eine Menge Brettspiele gespielt und Game of Thrones geschaut. Das war eine lustige Zeit! 😊

Wovor haben Sie Angst?
Die Menschen zu enttäuschen, die meine Hilfe brauchen.

Worauf freust du dich?
Im beruflichen Kontext freue ich mich auf eine Zukunft, in der Vielfalt und Intersektionalität nicht nur akzeptiert, sondern wirklich geschätzt und gefeiert werden – in der Menschen am Rande der Gesellschaft nicht nur einbezogen, sondern befähigt werden, sich zu entfalten und zu führen.