Einblick in die Lehre… 3 Fragen an Ursula Esterl

Die Beschäftigung mit Mehrsprachigkeit ist ein Zukunftsthema, besonders für Lehramtsstudierende. In der, zwischen Sprachwissenschaft und -didaktik angesiedelten, LV „Mehrsprachigkeit“ arbeiten die Studierenden an den verschiedenen Facetten des Themas: Welche Chancen ergeben sich durch Mehrsprachigkeit? Auf was muss im Umgang damit geachtet werde? Welche Unterschiede gibt es zwischen den verschiedenen Formen? Das Kurzinterview erlaubt einen spannenden Einblick in das Thema. 

Können Sie uns etwas Näheres zu Ihrer LV Mehrsprachigkeit erzählen? Worauf muss im Umgang mit Fremdsprachigkeit geachtet werden?

Die Lehrveranstaltung beleuchtet unterschiedliche Facetten von und Zugänge zur Mehrsprachigkeit und richtet sich in erster Linie an Studierende im Unterrichtsfach Deutsch. Sie liegt an der Schnittstelle zwischen Sprachwissenschaft und Sprachdidaktik.
Im theoretischen Teil beschäftigen wir uns mit unterschiedlichen Formen und Definitionen von individueller und gesellschaftlicher Mehrsprachigkeit, Fragen des (Zweit-)Spracherwerbs, Formen mehrsprachigen Sprechens in der Migrationsgesellschaft und Modellen sprachlicher Bildung im Unterricht. Es geht aber auch um Aspekte der inneren Mehrsprachigkeit, wie beispielsweise die unterschiedlichen sprachlichen Varietäten in den amtlich deutschsprachigen Ländern, das Verhältnis von Standardsprache und Dialekt, aber auch um Soziolekte wie die Jugendsprache und Ethnolekte. Außerdem soll der Blick für den Zusammenhang zwischen Sprachideologien und Sprachenpolitik sowie für das Verhältnis von Sprache und Macht, das gerade auch in der Bildungsinstitution Schule von Bedeutung ist, geschärft werden. Das zeigt sich beispielsweise an der Wertschätzung, die den unterschiedlichen von den Schüler*innen mitgebrachten und in der Schule vermittelten Sprachen entgegengebracht wird, oder auch daran, ob Familiensprachen der Kinder und Jugendlichen positiv aufgenommen und gewinnbringend in den Unterricht integriert werden oder ob sie ignoriert werden und ihr Gebrauch zugunsten einer monolingual deutschsprachigen Ausrichtung von Schule und Unterricht möglicherweise sogar untersagt wird.

Um Möglichkeiten aufzeigen, wie die sprachlichen Ressourcen der Schüler*innen aufgegriffen und in Lehr- und Lernsituationen genutzt werden können, werden in der Lehrveranstaltung auch mehrsprachigkeitsdidaktische Konzepte und Modelle vermittelt, wie beispielsweise Language(s) Awareness, Linguistic Landscaping oder Translanguaging. Einen weiteren Schwerpunkt bildet die Auseinandersetzung mit dem sprachlichen Register der Bildungssprache, das für viele Schüler*innen eine große Herausforderung darstellt und dessen Beherrschung für den schulischen Erfolg unabdingbar ist. Nicht zuletzt erfolgt auch eine Auseinandersetzung mit Fragen der interkulturellen Bildung, die als Unterrichtsprinzip verankert ist und darauf abzielt, Verständnis für das komplexe Geflecht von Kultur, Sprache und Macht anzubahnen.

Was wollen Sie Ihren Studierenden mitgeben?

Es ist mir ein Anliegen, dass Studierende Mehrsprachigkeit als wertvolle Ressource erkennen und schätzen lernen und ein Verständnis für mehrsprachige Schüler*innen und deren Potential, aber auch für die komplexen Anforderungen, vor denen sie stehen, entwickeln. Diese Lehrveranstaltung kann die vielfältigen Facetten der Mehrsprachigkeit nur aufzeigen und den Studierenden erste Einblicke bieten, die noch zu vertiefen sind. Dennoch sollen Studierende auf Basis des neu gewonnenen linguistischen Wissens Zusammenhänge verstehen lernen und dank der didaktischen Impulse auf ein mehrsprachigkeitssensibles Handeln vorbereitet werden. Sie sollen sich auch kritischen Fragen nicht verschließen und zu einer offenen Haltung auch in komplexen Situationen ermutigt werden. Schön wäre es, wenn Studierende erkennen, dass das individuelle Sprachenrepertoire ihrer Schüler*innen eine wichtige Ressource sowohl für die individuelle Entwicklung der*des Einzelnen, aber auch der gesamten (Klassen-)Gemeinschaft darstellt und dass auch sie persönlich von einem sensiblen und aufmerksamen Umgang mit (Mehr-)Sprachigkeit profitieren können.

Warum ist Mehrsprachigkeit gerade jetzt wichtig?

Mehrsprachigkeit ist in den Klassenzimmern der Migrationsgesellschaft allgegenwärtig und auch in den aktuellen Curricula sind interkulturelle und sprachliche Bildung zentral verankert. Schüler*innen kommen mit unterschiedlichen sprachlichen Voraussetzungen in die Schule und so ist es unabdinglich, ihr sprachliches Repertoire zu erweitern und das Potential der im Klassenzimmer vorhandenen Mehrsprachigkeit auszuschöpfen, auch wenn das bedeutet, monolinguale Normen und Erwartungen zu hinterfragen und letztlich zu überwinden, um möglichst große Bildungsgerechtigkeit zu schaffen. Es ist dabei ein zentrales Anliegen der Mehrsprachigkeitsdidaktik, Schüler*innen auf die Teilhabe an der demokratischen Gesellschaft vorzubereiten. Dafür müssen unterschiedliche biographische Voraussetzungen berücksichtigt und die vorhandenen sprachlichen Ressourcen beim Lernen genutzt werden. Ein Miteinander in der mehrsprachigen Migrationsgesellschaft jetzt und in Zukunft wird nur gelingen, wenn man Verständnis füreinander entwickelt. Und nicht zuletzt ist Mehrsprachigkeit auch ein zentrales europäisches Bildungsziel und ein wichtiges Element der Wettbewerbsfähigkeit Europas.

Zur Person

Ursula Esterl ist Lehrende am Institut für GermanistikAECC* an der Abteilung für Fachdidaktik an der Universität Klagenfurt. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen im Bereich Mehrsprachigkeit, Deutsch als Zweitsprache, aber auch in der Schreibdidaktik, insbesondere zu den Textsorten der neuen standardisierten Reifeprüfung. Sie ist auch Mitherausgeberin der deutschdidaktischen Fachzeitschrift „ide. informationen zur deutschdidaktik“.

*Das Österreichische Kompetenzzentrum für Deutschdidaktik (Austrian Educational Competence Center / AECC Deutsch) wurde 2006 an der Universität Klagenfurt gegründet. Seit 1.1.2017 ist es eine eigenständige Abteilung am Institut für Germanistik AECC.


Profilbild