Einander gut tun

Beziehungen haben Effekte auf die Gesundheit von Menschen. Herrschen Gewalt, Konflikte und Missbrauch vor, werden psychische und physische Krankheiten häufig begünstigt. Die Psychologin Heather Foran bemüht sich um verlässliche Erhebung von familiären Risikofaktoren im Gesundheitssystem, damit Krankheiten besser behandelt werden können.

Was ist eine gesunde Beziehung?
Am wichtigsten ist Respekt. Respekt hindert uns daran, die Beziehung zu vergiften, indem wir Verachtung zeigen, den anderen heruntermachen, den Kern der Persönlichkeit des anderen kränken. Um die Gesundheit einer Beziehung einzuschätzen, sind aber auch andere Dimensionen von Bedeutung: Wie viel Zeit haben die Menschen füreinander? Welche Qualität hat diese Zeit? Wie kann das Paar mit Konflikten zu den üblichen Themen wie Finanzen oder Kindererziehung umgehen? Welche Formen der Kommunikation stehen zur Verfügung?

Kann nicht mehr gesprochen werden, wird häufig geschlagen. Wie häufig ist familiäre Gewalt?
In Europa gehen wir davon aus, dass ein Viertel aller Frauen im Laufe ihres Lebens Erfahrungen mit physischem oder sexuellem Missbrauch machen. Global sind es circa 30 Prozent der Frauen. Viele haben nicht das Gefühl, Alternativen zu ihrer Lebenssituation zu haben. Was weniger wird, ist der typische Schläger in der Familie, der mit einer unglaublichen Gewalt die Familie unter Kontrolle hat. Noch immer sehr häufig kommt es zu einer gelegentlichen Gewaltepisode, die ihren Ausgang in einem Konflikt oder in Stressoren nimmt, auf schlechte Kommunikation trifft, manchmal durch Eifersucht oder Alkohol angefeuert wird, und dann ausbricht. Diese episodenhafte Form von Gewalt kann von beiden Paarteilen ausgehen.

Was kann man zur Prävention tun?
Wir brauchen mehr Präventionsprogramme, die dabei unterstützen, Kommunikations- und Konfliktlösungsstrategien aufzubauen. Zusätzlich müssen wir den Einzelnen oder die Einzelne dabei unterstützen, frühe Zeichen zu identifizieren, die einen Missbrauch bereits vorausahnen lassen. Bei vielen betroffenen Paaren fängt es mit psychischem Missbrauch an, der eine Negativspirale hin zu gewalttätigen Auseinandersetzungen auslösen kann.

Wie definieren Sie psychischen Missbrauch?
Wir müssen hier den Kontext sehen, da Wörter und Aussagen nicht in allen Beziehungen die gleiche Bedeutung haben. Was bei einem Paar als Scherz aufgefasst wird, kann bei einem anderem eine psychologische Drohung bedeuten. Generell gilt: Wenn Drohung, Kränkung, Verachtung, Kritik oder Angriffe auf die Persönlichkeit zu Angst, Depression und Stress führen, handelt es sich um klinisch relevante Muster.

Welche Effekte haben solche Beziehungsprobleme auf die Gesundheit des Einzelnen?
Es gibt eine wechselseitige Beziehung zwischen Individuum und sozialem bzw. familiärem Umfeld. So wissen wir beispielsweise, dass Bindungsprobleme oder gar Kindesmisshandlung zu einem erhöhten Risiko für die physische und psychische Gesundheit während der gesamten Lebensdauer führen können. Im Fall von Kindesmissbrauch konnte zum Beispiel gezeigt werden, dass unter anderem physiologische Stressreaktionen und epigenetische Veränderungen die erhöhte Anfälligkeit für chronische Erkrankungen bedingen.

Wird die „Gesundheit“ oder „Krankheit“ des sozialen Umfeldes ausreichend erhoben, wenn sich jemand mit einem Krankheitsbild hilfesuchend an das Gesundheitssystem wendet?
In den meisten Fällen leider nicht. Eine Frau, die Opfer von Gewalt in der Familie ist und zum Arzt mit Symptomen einer Depression kommt, wird mit Antidepressiva behandelt. Bleibt sie aber zuhause das Opfer, werden die Medikamente nicht hinreichend helfen können. Familienmitglieder haben auch häufig einen großen Einfluss auf die Einhaltung medikamentöser Verschreibungen oder auf das generelle Gesundheitsverhalten. Es ist daher sehr wichtig, dass die medizinischen Dienstleister solche familiären Faktoren erheben. Ich arbeite gemeinsam mit internationalen Kolleginnen und Kollegen an der Fragestellung, wie wir hier zu verlässlichen Aussagen kommen können. Basierend auf unserer Forschung haben wir effiziente Screening-Instrumente entwickelt, die zum Beispiel in der allgemeinärztlichen Versorgung zum Einsatz kommen können. Außerdem haben wir neue diagnostische Kriterien für die international anerkannten Standardsysteme zur Klassifikation von Erkrankungen im Gesundheitswesen entwickelt.

Wie ist die Lage international?
In den westlichen Industrieländern kam der Schutz vor familiärer Gewalt erst in den 1970er Jahren auf. In vielen anderen Gegenden sind Vernachlässigung, psychischer und physischer Missbrauch noch sehr häufig und werden in den Einrichtungen des Gesundheitssystems noch gar nicht erhoben.

Kann man sagen, dass Kinder, die heute in Familien aufwachsen, eine psychisch gesündere Zukunft bevorsteht als jenen Kindern, die vor 30 Jahren geboren wurden?
Ich hoffe dies sehr. Uns steht heute sehr viel mehr Information über die psychische Entwicklung von Kindern zu Verfügung. Die gegenwärtige Generation weiß mehr über Emotionsregulierung und hat mehr Verständnis für mentale Probleme und deren Behandlungsoptionen. Psychische Erkrankungen sind erst in den letzten Jahrzehnten in den Fokus der Forschung – und auch deren Finanzierung – gekommen. Heute sind Demenz und Depression als chronische Erkrankungen anerkannt, die viel Aufmerksamkeit erfahren. Trotzdem gibt es nach wie vor einen großen Unterschied in der gesellschaftlichen Akzeptanz von psychischen und physischen Erkrankungen, der abgebaut werden muss, um einen nachhaltigen positiven Effekt zu erzielen.

Heute bleiben viele nicht mehr in ungesunden Beziehungen, sondern trennen sich oder lassen sich scheiden. Hat dieser Trend uns insgesamt gesünder gemacht?
Grundsätzlich gilt: Eine gesunde Partnerschaft hat bedeutende Gesundheitseffekte. Die Forschung zeigt uns, dass diese Verbundenheit, die Menschen in langen, gesunden Beziehungen verspüren, vor psychischen und physischen Krankheiten schützt. Entscheidend ist die Beziehungszufriedenheit. Wenn nun eine konfliktreiche Partnerschaft vorliegt, kann eine Trennung oder Scheidung erlösend sein. Für die meisten ist so eine Lebensphase aber sehr anstrengend.

Ist es für einen Menschen alles in allem gesünder, sich vor den Schwierigkeiten einer Beziehung zu schützen und gar ganz alleine zu bleiben?
Jede und jeder muss tun, was sie oder ihn glücklich macht. So muss man auch die Lebensform finden, die einen erfüllt. Für viele allein Lebende sind Freundinnen und Freunde eine wichtige Ressource. Vollständige soziale Isolation ist aber ein Risikofaktor für unsere Gesundheit. Nehmen wir ein Beispiel aus der Biologie: Der Fisch, der mitten im Schwarm schwimmt, ist weniger verwundbar als der Einzelgänger, der sich am Rand aufhält. So gibt uns unser soziales Umfeld Sicherheit.

für ad astra: Romy Müller

Zur Person

Heather M. Foran, geboren in Michigan (USA), studierte Klinische Psychologie an der Stony Brook University, New York, einer der besten amerikanischen Universitäten in diesem Fach. Vor ihrer Berufung an die AAU war sie DFG-geförderte Projektleiterin an der Technischen Universität Braunschweig und Vertretungsprofessorin für Klinische Psychologie
und Psychotherapie an der Universität Ulm. Foran ist seit 2016 Professorin für Gesundheitspsychologie am Institut für Psychologie.

Heather Foran | Foto: photo riccio