Daniel Wutti | Foto: aau/KK

„Ein Preis, mit dem weniger ich als die gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnisse ausgezeichnet werden“

Daniel Wutti wurde am 15. Dezember mit dem Förderungspreis für Geistes- und Sozialwissenschaften des Landes Kärnten ausgezeichnet. Der kärntner-slowenische Wissenschaftler forscht zu transgenerationalen Traumata und Erinnerungsgemeinschaften. Gleichzeitig erhielt der Universitätsprofessor, Übersetzer und Herausgeber Johann Strutz den Würdigungspreis des Landes Kärnten. Daniel Wutti erläutert im Interview, wie er die Auswahl der diesjährigen Preisträgerinnen und Preisträger interpretiert.

Herr Wutti, woher stammt Ihr Forschungsinteresse?

Ich selbst stamme aus einer Familie im Süden Kärntens, die auf eine lange zweisprachige Tradition zurückblickt. Ich habe daher viele historische Erfahrungen, die meine Vorfahren machen mussten, innerfamiliär tradiert bekommen. Konflikte zwischen Mehrheits- und Minderheitsbevölkerung, Mehrsprachigkeit und Interkulturalität interessierten mich also von allem Anfang an. Schon während des Studiums, insbesondere in meiner Zeit als Studienassistent bzw. Tutor und über die Zusammenarbeit mit dem Sozialpsychologen Klaus Ottomeyer wurde mir klar, dass es hier auch noch viel wissenschaftlich zu bearbeiten gilt. Für den Verein Aspis habe ich in meiner Zeit als Praktikant ein eindrucksvolles Interview mit einer Dame geführt, die das kostenlose Psychotherapie-Angebot für Opfer des Nationalsozialismus in Anspruch genommen hat. Dieses Erlebnis war eine Art Schlüsselmoment für meine wissenschaftliche Arbeit. Erst später gab es dann auch erste Angebote für Betroffene der zweiten und dritten Generation, die erlittenen bzw. weitergegebenen Traumata professionell begleitet zu bearbeiten.

Wie würden Sie transgenerationale Traumatisierung definieren?

Wie die Übertragung funktioniert, ist meist sehr komplex. In der Literatur gibt es dazu unterschiedliche Theorien, wobei ich mich vor allem auf die psychoanalytische Beschäftigung konzentriert habe. Demnach ist es beispielsweise die Identifikation mit den Vorfahren, die belastet. Aber es gibt auch bewusste und unbewusste Aufträge von Seiten der Großeltern- und Elterngeneration, die weitergetragen werden. So ist es vielen Alten, die selbst stark unter ihrem Kärntner-Slowenischsein gelitten haben, sehr wichtig, dass weiter slowenisch gesprochen wird. Dieser Auftrag wirkt dann auf die nachfolgenden Generationen. Ein drittes Element ist häufig das Schweigen: Reden die älteren Generationen nicht über ihre Traumata, entsteht in der Fantasie oft noch Fürchterlicheres als es die Realität überhaupt zu bieten hat. Die innerfamiliären Dynamiken sind insgesamt nicht zu unterschätzen.

Was möchten Sie am Ende Ihrer Dissertation wissen, was Sie vorher nicht wussten?

Ich möchte wissen, wie die Dynamik zwischen Minderheit und Mehrheit gestaltet ist. Dabei will ich nicht nur einen Schwarz-Weiß-Blick darauf werfen, sondern auch auf die Grautöne zwischen Minder- und Mehrheit in Kärnten blicken. Ich will eine Beschreibung darüber liefern, wie sich die sozialen Verhältnisse aufgrund der Mehrsprachigkeit in Kärnten entwickelt haben. Dabei interessiert mich auch, wie Erinnerungen weitergetragen werden und zur (Großgruppen-)Identität beitragen.

Die Trägerinnen und Träger der Erinnerung an den Nationalsozialismus werden bald nicht mehr unter uns sein. Inwiefern wird Wissen dennoch tradiert?

Ja, wir leben in einer spannenden Zeit des Umbruchs unserer diesbezüglichen Erinnerungskulturen. Wir können uns genau anschauen, wie das Wissen bewahrt wird, aber auch einen Blick darauf werfen, was durch diese neue Situation erst ermöglicht wird. Vielleicht kann man sich dadurch, dass nicht mehr die Opfer-ZeitzeugInnen auftreten, eher den Tätern und Mitläufern widmen, um noch besser verstehen zu können?

Wann kann man die Auseinandersetzung mit dieser Zeit einmal ruhen lassen?

Die meisten Menschen in Kärnten beschäftigt das Thema nicht mehr, oder sie glauben vielmehr, dass dies nicht mehr ihr Thema ist. Auf der anderen Seite gibt es noch Verbände, für die das noch ein sehr wichtiges Thema ist, auch für junge Menschen unter 20 Jahren. Das ist eine große Diskrepanz, an der man gut arbeiten kann. In vielen Familien, die selbst Opfer waren, sind heute auch noch die Kinder überzeugt, dass es wichtig ist, dass möglichst viele über die nationalsozialistischen Gräueltaten Bescheid wissen. Andere haben eine wesentlich größere Distanz. Ich frage mich, wo man da in einem demokratisierenden Sinn ansetzen kann: Dass man aus dieser Zeit lernen kann, aber nicht so, dass es belastend ist.

Was wünschen Sie sich für Ihre Kinder?

Meine Kinder wachsen dreisprachig auf; slowenisch, bulgarisch, deutsch. Ich wünsche mir für sie, dass sie den Druck nicht mehr spüren, und ich glaube, dass die Zeit viel dazu beiträgt, dass Wunden heilen. Was wir ihnen heute vermitteln, ist etwas ganz anderes: Offenheit, Interkulturalität, Mehrsprachigkeit. Ich würde mir auch für Kärnten generell wünschen, dass es von seiner kulturellen Diversität profitieren kann.

Was möchten Sie weiter machen?

Ich möchte dem Thema weiter treu, und auch in Kärnten, bleiben. Wenn es die Möglichkeiten dafür gibt. Ich bin aber offen gegenüber Neuem und freue mich auf die kommenden Herausforderungen.

Wie interpretieren Sie, dass Ihre Arbeit mit diesem Preis ausgezeichnet wurde?

Ich bin sehr stolz, dass es heute möglich ist, dass Kärntnerinnen und Kärntner dafür ausgezeichnet werden, dass sie sich kritisch mit dem Verhältnis zwischen Mehrheits- und Minderheitsbevölkerung in Kärnten auseinandersetzen, also gesellschaftlich „unangenehme“ Themen ansprechen. Das war vor kurzem noch undenkbar. Ich merke aber auch, dass ich die Befürchtung habe, dass sich das vor dem Hintergrund zunehmender Radikalisierung und Abgrenzung gegenüber Fremden in unserer Gesellschaft wieder ändern könnte. Ich finde es traurig, dass es in der Geschichte scheinbar immer wieder das Außen braucht, um eine innere Identität zu finden bzw. zu stärken. Und ich wünsche mir für solche Phänomene, dass wir mehr aus den Erinnerungen unserer Vorfahren und dem tradierten Wissen lernen.

Zur Person

Daniel Wutti studierte an der AAU die Fächer Psychologie (Schwerpunkt Gruppendynamik) sowie Medien- und Kommunikationswissenschaft (Schwerpunkt Organisationskommunikation). Der Wissenschaftler absolvierte bereits während des Studiums mehrere Forschungsaufenthalte in Slowenien, Polen und Russland. Für seine im Jahr 2012 eingereichte und 2013 im DRAVA-Verlag unter dem Titel „Drei Familien, drei Generationen – das Trauma des Nationalsozialismus im Leben dreier Generationen von Kärntner SlowenInnen“ erschienene Diplomarbeit erhielt er eine Auszeichnung vom slowenischen Ministerium für Auslandsslowenen. Wutti  hat an etlichen Forschungsprojekten, die sich inhaltlich vor allem mit Erinnerungsgemeinschaften und Gedächtniskulturen, bezogen auf den Nationalsozialismus in Kärnten auseinandergesetzt haben, teilgenommen und ist an der AAU an mehreren Instituten als Lehrbeauftragter tätig. Er beschäftigt sich in seinen Projekten insbesondere mit den Auswirkungen transgenerational übertragener Traumata und Erinnerungsgemeinschaften. 2014 erhielt er für seine in Arbeit befindliche Dissertation „Identität, Trauma, Gedächtnis“ das „Wissen schafft EUropa in Kärnten“ Stipendium des Landes Kärnten. Die Doktorarbeit, die von Klaus Ottomeyer betreut wird, wird 2017 abgeschlossen werden.

Würdigungspreis des Landes Kärnten für Geistes- und Sozialwissenschaften an Johann Strutz, Universitätsprofessor i.R.

Johann Strutz, geb. 1949 in Ruda, lebt in Ruden (Kärnten). Er studierte Literatur- und Sprachwissenschaft in Graz. Ab 1984 war er Mitarbeiter der Alpen-Adria-Universität, zuständig für den komparatistischen Regionalschwerpunkt (Literaturbeziehungen im Alpen-Adria-Raum; Kleine Literaturen im europäischen Kontext, Literatur und Mehrsprachigkeit).  2015 trat er seinen Ruhestand an. Johann Strutz „war einer der Ersten, der die Beziehungen zwischen istrischen und italienischen, südslawischen und österreichischen Kulturen untersuchte. ‚Fast schon obsessiv‘ übersetzte Strutz aus dem Italienischen, Kroatischen, Serbischen, Slowenischen, aber auch aus dem Englischen und Walisischen und erhielt dafür 2010 den Österreichischen Staatspreis für Übersetzungen.“ (Kleine Zeitung, 15. Dezember 2016)

Johann Strutz | Foto: Puch

Foto: Johannes Puch