Seethaler Josef | Foto: KK

Digitale neue Medienwelt: „Politik und Medien sind nicht auf die digitale Demokratie vorbereitet.“

„Ist die Welt aus den Fugen? Was auf dem Spiel steht“ lautet der Titel einer Veranstaltungsreihe der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Im Rahmen dieser Initiative widmet sich die Podiumsdiskussion „Digitale Demokratie“ den Folgen von Digitalisierung und Mediatisierung für Demokratie, insbesondere der neuen Symbiose von Medien und Politik. Wir haben vorab mit Josef Seethaler, stellvertretender Direktor des Instituts für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung und Mitdiskutant am Podium, über die aktuellen Entwicklungen gesprochen.

Wodurch unterscheidet sich die „digitale Demokratie“ von der „analogen“?

Darunter kann man ja zweierlei verstehen: Einerseits meinen wir damit alle administrativen Prozesse, die wir von der analogen in die digitale Sphäre verlegen können, also E-Voting, E-Government usw. Andererseits fassen wir damit Phänomene zusammen, die politisches Handeln auf digitalem Wege ermöglichen: Als Bürgerinnen und Bürger gehen wir heute nicht mehr nur zur Wahl oder zur Demonstration, sondern wir posten, voten, liken, sharen. Diese Formen der Meinungsäußerung ermöglichen es uns, viel mehr und ganz andere Menschen zu erreichen als wir dies analog tun könnten.

 Ist der Unterschied ein rein quantitativer gegenüber der herkömmlichen Stammtischdiskussion?

Die Quantität beinhaltet auch eine andere Qualität. Ich kann mich online mit Menschen vernetzen, die ich vorher nicht gekannt habe. Über ein gemeinsames Interesse entstehen digital ermöglichte Gemeinschaften, die über einen Stammtisch nicht zu organisieren sein werden, zu dem immer dieselben zwölf Menschen kommen.

Wie verändern die digitalen Möglichkeiten unsere politischen Strukturen?

Wir leben eigentlich in einer repräsentativen Demokratie. Wir als Bürgerinnen und Bürger sind dazu angehalten, unsere Stimme politischen Vertretungsorganisationen, also Parteien, zu geben, die dann – so der Idealgedanke – unsere Interessen wahrnehmen und versuchen, sie politisch auszuhandeln. Schon zarte Ansätze einer anderen Form, die mehr Bürgerbeteiligung wie bei Volksbegehren oder Volksabstimmungen vorsieht, werden bei uns sehr vorsichtig und zurückhaltend behandelt. Auf der anderen Seite wissen wir beispielsweise aus dem Eurobarometer, dass in Österreich nur 35 Prozent der Menschen angeben, den Parteien zu vertrauen. Andererseits zeigen Wertestudien, dass bis zu 45 Prozent der ÖsterreicherInnen bereit wären, mehr Verantwortung für sich zu übernehmen, während der Staat lediglich für eine gerechte Einkommensverteilung und Grundsicherung sorgen soll. Das sehe ich als Aufforderung für mehr Mitsprache und Mitgestaltung. Diese kann vor allem auf dem digitalen Wege organisiert werden.

Welche Rolle spielen die klassischen Medien bei diesem Umbruch?

Die klassischen Medien sind mit dem Gedanken der repräsentativen Demokratie sehr eng verknüpft. Sie haben eine Rolle in dieser Form der Demokratie inne, die sie bisher auch gut ausfüllen konnten, die sich aber zunehmend wandelt. Es wird wohl auch neue partizipative Formen des Journalismus brauchen, da der Journalismus zunehmend seine Gatekeeper-Funktion verliert. Journalismus wird mehr die Funktion haben, Foren bereit zu stellen und Menschen einzuladen, ihre Anliegen in den öffentlichen Diskurs einzubringen. Dieses Konzept ist allerdings im starren Medienbetrieb derzeit schwer realisierbar. Die Medien müssen dazu aufbrechen, sie müssten sich zu einer positiven Definition von Konvergenz durchringen, die über das Technische hinausgeht und inhaltliche Angebote bereitstellt.

Wie sind die Entwicklungen in Österreich im internationalen Vergleich einzuordnen?

Sowohl bei der Internet- als auch bei der Social-Media-Nutzung liegen wir im EU28-Vergleich im letzten Drittel. 60 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher sagen, sie beziehen ihre Informationen aus den klassischen Medien. Wenn man aber das Alter der Nutzerinnen und Nutzer mitbetrachtet, sieht man, dass unter den 18- bis 24-Jährigen rund 70 Prozent ihre Nachrichten den Social Media entnehmen, 30 Prozent sehen sogar ausschließlich soziale Medien als Informationsquelle. Es lässt sich also zusammenfassen: Es gibt deutliche Veränderungen. Und die politischen Institutionen und die klassischen Medien sind auf diesen Umbruch nicht vorbereitet.

In der Veranstaltungsbeschreibung sprechen Sie von einer neuen Symbiose von Medien und Politik. Was ist darunter zu verstehen?

Der Journalismus gerät aktuell in Folge dieser medien- und kommunikationstechnologischen Umbrüche in eine wirtschaftlich schwierige Situation. Redaktionen werden verkleinert, Korrespondenten eingespart. Die Folge ist, dass die Recherchetätigkeit nachlässt, weil die Zeit, den Geschehnissen auf den Grund zu gehen, stark eingeschränkt ist. Die Folge davon ist, dass Journalistinnen und Journalisten in ihren Redaktionen sitzen, wo die Tweets der PolitikerInnen auf ihre Bildschirme flattern und sie diese vielfach einfach übernehmen. In den USA sagen sogar 70 Prozent der JournalistInnen, Twitter wäre ihre Hauptinformationsquelle. Österreich entwickelt sich auch in diese Richtung. Twitter ist deshalb so stark, weil es sich als Elitemedium zwischen Politik und Journalismus entwickelt hat. Wer das von Seiten der Politik bedienen kann, ist heute klar im Vorteil. Journalismus verfehlt dann aber seine Funktion der gesellschaftlichen Selbstbeobachtung.

Zur Veranstaltung

Die Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW) veranstaltet unter dem Titel „Ist die Welt aus den Fugen? Was auf dem Spiel steht“ eine Veranstaltungsreihe in der Steiermark und in Kärnten zu aktuellen Fragen an der Schnittstelle zwischen Gesellschaft und Wissenschaft. Im Rahmen dieser Initiative widmet sich die Podiumsdiskussion „Digitale Demokratie“ den Folgen von Digitalisierung und Mediatisierung für Demokratie, insbesondere der neuen Symbiose von Medien und Politik. Zentrale Fragen dabei sind: Lässt digitale Demokratie Ansätze für mehr Transparenz und Mitbestimmung erkennen? Oder wird die Öffentlichkeit durch Manipulation und Echokammern fragmentiert? Und wie kann man mit diesem neuen Phänomen umgehen?

Dienstag, 6. November 2018 | Beginn: 18:00 Uhr | Stiftungssaal der Kärntner Sparkasse | Servicegebäude | Universitätsstraße 65-67

Begrüßung: Oliver Vitouch (Rektor der Universität Klagenfurt) | Matthias Karmasin (Direktor des Instituts für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung ÖAW/AAU)

Podiumsdiskussion: Thomas Cik (Kleine Zeitung, Kärnten) | Andy Kaltenbrunner (Institut für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung ÖAW/AAU, Medienhaus Wien, Universidad Miguel Hernández) | Josef Seethaler (Institut für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung ÖAW/AAU) | Franzisca Weder (Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft der AAU)

Moderation: Daniela Kraus (fjum_forum journalismus und medien wien)

Kontakt/Anmeldung: irmgard [dot] kopp [at] aau [dot] at