Janet Kleber, Alexandra Rausch & Bartosz Gula | Foto: aau/Müller

Die menschelnde Wirtschaft

Vor wenigen Tagen wurde mit Richard H. Thaler (University of Chicago) einer der Begründer der Verhaltensökonomie als nächster Nobelpreisträger der Wirtschaftswissenschaften verkündet. Seiner Argumentation zufolge agiert der (in der Wirtschaft handelnde) Mensch nicht immer als homo oeconomicus, also nicht immer rational. Die Wirtschaftswissenschaftlerin Alexandra Rausch, der Kognitionspsychologe Bartosz Gula und die Sozialpsychologin Janet Kleber sprechen im Interview darüber, welche Anomalien und Irrationalitäten die Forschung kennt und wie man diesen möglicherweise entgegenwirken kann.

Warum ist es herausragend, dass ein Forscher feststellt, dass die Ökonomie menschlich geprägt ist. Was ist denn das Gegenmodell dazu?

Rausch: Der Faktor Mensch und das menschliche Verhalten spielen auch für uns Wirtschafswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler eine große Rolle. Die Anfänge der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung sind allerdings vom Menschenbild des homo oeconomicus geprägt. Der homo oeconomicus bzw. das theoretische Modell eines rationalen Nutzenmaximierers kann als Gegenmodell zu Thalers verhaltensökonomischen Ansätzen verstanden werden. Man glaubte daran, dass der Mensch rational entscheidet und dass man ihn in seinem wirtschaftlichen Tun mit Instrumenten gut unterstützen und steuern kann. Auch in den Wirtschaftswissenschaften hat man bereits vor Jahrzehnten erkannt, dass die Instrumente nicht immer so wirken, wie man es sich vorstellt. Beispielsweise hat sich gezeigt, dass Anreizsysteme nicht immer zu den gewünschten Ergebnissen führen, weil sie mitunter auf den Verhaltensannahmen eines rationalen Entscheiders beruhen. Menschen verhalten sich aber nicht immer rational. Sie unterliegen bewussten und unbewussten Entscheidungsfehlern. Thaler hat mit seiner Forschung wesentlich dazu beigetragen, solch irrationales Verhalten in der Wirtschaft zu erklären.

Inwiefern interessiert sich die Psychologie für diese Einflüsse?

Kleber: Die Psychologie beschäftigt sich mit Entscheidungen ganz generell. Untersuchungen zu finanziellen Entscheidungen haben den Vorteil, dass die Effekte leicht zu quantifizieren sind. Ein Euro ist ein Euro, oder sollte es gleichermaßen für jeden sein. (Wobei wir aber wissen, dass es nicht immer so ist.) Wenn man im Vergleich dazu die Entscheidung der Partnerwahl nimmt, kann man nicht so einfach messen, ob eine gute oder eine schlechte Entscheidung getroffen wurde.   

In welchem Fall ist ein Euro nicht ein Euro?

Rausch: Es gibt so etwas wie eine „mentale Buchführung“, das mentale Accounting. Die Theorie des mental accounting geht auf Thaler zurück. In unserer Vorstellung teilen wir Geldbeträge bestimmten Konten zu. So haben wir im Alltag beispielsweise ein Konto für den Haushalt, eines für Freizeit, eines für Gesundheitsausgaben. Ein Euro kann in diesen Kontexten unterschiedlich viel wert sein. Ich zitiere ein Beispiel von Kahneman und Tversky: Stellen Sie sich vor, Sie gehen ins Theater, haben schon davor zwei Karten gekauft und stellen dann vor den Toren des Theaters fest, dass sie die Karten verloren haben. Mehr als 50 Prozent sagen, sie würden die Tickets nicht neu kaufen. In einem anderen Setting stellen Sie sich vor, Sie hätten die Karten nicht zuvor gekauft, kämen beim Theater an und würden dann feststellen, dass Sie das Geld für die Karten verloren hätten. Gefragt danach, ob man dann mit der Kreditkarte die Karten kaufen würde, entscheiden sich viel mehr Personen, nämlich fast 90 Prozent, für den Ticketkauf. In beiden Fällen sind die Zusatzkosten gleich hoch; der Betrag wird aber unterschiedlich „verbucht“.

Gula: Bei Richard Thaler geht es insbesondere darum, was man für den Euro haben kann und wie das variiert. Dan Gilbert veranschaulicht das etwa an folgendem Beispiel: Sie haben einen langen Flug vor sich, haben nichts zu essen dabei, aber starken Hunger. Neben Ihnen packt jemand einen Burger aus, der bis zu ihnen rüber duftet. Wenn der Besitzer Ihnen den Burger nun für einen höheren Preis als üblich zum Verkauf anbietet, wären Sie eher bereit ihn zu bezahlen als im Restaurant. Der situative Kontext beeinflusst den Wert von Gegenständen.

Kleber: Die Wertschätzung hängt nicht nur vom Kontext, sondern auch von der Rolle der Person ab. Zum Beispiel besagt der Besitztumseffekt, den ebenfalls Richard Thaler geprägt hat, dass je nachdem, ob man etwas besitzt oder nicht, dies den subjektiven Wert dieses Besitzes verändert. Im Beispiel wird der Burger-Besitzer seinen Burger höher wertschätzen, allein, weil es sein Besitz ist.

Wenn selbst der Einzelne in solchen Situationen so irrational handelt, ist das nicht beunruhigend für das Wirtschaftssystem im Großen?

Rausch: In gewisser Weise ja, weil das System nur beschränkt berechenbar ist. Gut ist, dass wir durch die Forschung viele Verzerrungen und irrationale Verhaltensweisen erkannt haben und uns mit Gegenmaßnahmen bzw. Modi, wie man diese vorausdenken und einkalkulieren kann, beschäftigen können.

Wie kann man jemals Unberechenbares berechnen?

Gula: Die Irrationalität ist am ehesten verstehbar als systematische Abweichung von dem, was man von einem rationalen Agenten in einem wirtschaftlichen System erwarten würde. Dadurch, dass die Abweichung systematisch ist, ist sie stellenweise auch durchaus vorhersehbar . Dieses Wissen lässt sich dann für etwas nutzen, das Thaler als Entscheidungsarchitektur bezeichnet, also ein Setting, dass die Person dabei unterstützt, Entscheidungen zu treffen, die sie später nicht bereut. Ein recht bekanntes Beispiel ist der Default-Effekt bei Organspendeentscheidungen: In Ländern wie Österreich, wo man sich aus der Liste austragen lassen müsste (opt-out), gibt es wesentlich mehr OrganspenderInnen als in Ländern wie Deutschland, wo man sich als Spender eintragen lassen müsste (opt-in).
Ein anderes Beispiel ist das Save More Tomorrow Programm (SMarT) bei privaten Pensionsversicherungen in den USA. Im Wesentlichen besteht es erstens aus der Defaultregelung, dass jedes Jahr weiter Beiträge eingezahlt werden, sofern der Versicherte dem nicht widerspricht und zweitens, dass regelmäßige Beitragserhöhungen mit Gehaltssteigerungen synchronisiert sind. Dadurch soll nie weniger netto für die Person übrig bleiben als zuvor und die Beitragssteigerungen werden weniger als Verlust erlebt.

Wo handeln Menschen in der Wirtschaft irrational?

Rausch: Wir haben uns am Institut unter anderem in einem Projekt mit den so genannten „versunkenen“ Kosten (sunk costs) beschäftigt. Dazu haben wir ein Experiment durchgeführt, in dem wir die Probandinnen und Probanden in die Situation von Führungskräften versetzt haben, die über mehrere Jahre hinweg mit einem Investitionsprojekt betraut sind. Bei diesem Projekt müssen sie immer wieder Entscheidungen über die Fortführung und die Investition weiterer Ressourcen treffen. Gemäß der präskriptiven Entscheidungstheorie sollen dabei nur zukünftige Erträge und Kosten des Projekts berücksichtigt werden. Unsere Untersuchungen zeigen aber, dass auch bereits investierte Ressourcen einbezogen werden, obwohl sie keine Rolle spielen dürften. Sie sind „versunken“ und nicht reversibel. Als Folge wird an einmal getroffenen Entscheidungen festgehalten, selbst wenn die Erfolgsaussichten des Projekts schlecht sind. Mitunter wird so in hoffnungslose Vorhaben weiter und weiter Geld investiert. Aus entscheidungstheoretischer Sicht ist dieses als escalation of commitment bekannte Verhalten irrational. Ursachen sind etwa die unbewusste Übergewichtung von Verlusten gegenüber Gewinnen und daraus resultierend die Tendenz, Verluste vermeiden zu wollen. Diese Verlustaversion oder loss aversion wurde von Kahneman und Tversky geprägt. Kahneman hat gemeinsam mit Smith 2002 den Nobelpreis für Wirtschaft bekommen. Einen alternativen Erklärungsansatz liefert uns aber auch wieder Thalers mental accounting. Die in der Vergangenheit investierten Ressourcen bzw. „versunkenen“ Kosten werden nämlich auf einem mentalen Konto verbucht und der Entscheider erkennt nicht, dass es sich um solche handelt.

Was kann man dagegen tun?

Rausch: Aus Sicht des Controlling könnten eine verstärkte Informationen der Entscheidungsträger, Berechnungen und eine Darlegung „Schwarz auf Weiß“, die Ausgestaltung monetärer Anreizsysteme, aber auch soziale Maßnahmen wie Rechtfertigungsdruck gegenüber Vorgesetzten von solchen Irrwegen abhalten.

Die Ideen von Richard Thaler gehen davon aus, dass man den sich entscheidenden Menschen in eine bestimmte Richtung „schubsen“ muss. Dahinter steht aber auch das Bild eines guten, richtigen Lebens oder einer guten, richtigen Wirtschaft. Daran gibt es auch Kritik.

Kleber: Bei dem „nudging“, wie Thaler dieses Schubsen nennt, ist es wichtig, dass man den Menschen nicht in seinem Handlungsspielraum einschränkt. Das ist eine ganz wichtige Voraussetzung. Nehmen wir den Salat, der in der Kantine im Vordergrund positioniert wird und tendenziell eher den Burger verdecken sollte. Man wird so zwar dahingehend „geschubst“, den Salat zu nehmen, hat aber trotzdem die Option, zum Ungesunden zu greifen. Nudging könnte insbesondere dort funktionieren, wo die Menschen feststellen, dass es gut ist, in eine bestimmte Richtung geleitet zu werden, weil es einem selbst auch gut tut.

Rausch: Nudging könnte in der Wirtschaft in der Mitarbeiterführung eine Rolle spielen, beispielsweise indem man Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu Weiterbildungsmaßnahmen anstößt oder ihre Innovationsbereitschaft anregt.

Kleber: Der Nudge kann aber auch sehr viel kleiner sein: Schon ein Daumen-hoch-Emoji, abgedruckt neben einem Hinweis auf ein Weiterbildungsangebot, könnte so ein Anstoß sein. Es handelt sich dabei um keine Beeinflussung, sondern nur ein Zeichen: Hey, das ist eine tolle Sache!

Wo ist die Grenze zwischen Beeinflussung und Schubser?

Kleber: Beim „Schubser“ haben Sie immer noch alle Handlungsoptionen, aber die Grenze ist nicht immer klar.

Wir haben bereits über den Save-More-Tomorrow-Effekt gesprochen. Dahinter liegt der Grundkonflikt, dass der Mensch eher kurzfristig agiert. Wie können sich dann langfristige globale Probleme wie der Klimawandel lösen lassen, dessen Auswirkungen für nachkommende Generationen fatal werden können?

Kleber: Der Mensch ist sehr stark auf kurzfristige Zielerreichung bedacht. Wir können sehr schlecht abschätzen, wie es uns in zukünftigen Szenarien ergehen wird.

Gula: Es gibt Studien dazu, die zeigen, dass wir, wenn wir uns über Langfristiges in einer Situation Gedanken machen, eher dazu tendieren, diese Langfristigkeit auch in Alltagsentscheidungen zu berücksichtigen. Im Sinne des nudging von Thaler würde das implizieren, dass wir Bedingungen schaffen müssten, in denen die Personen eher dazu angehalten sind, sich über langfristige Konsequenzen Gedanken zu machen.

Rausch: Das Problem besteht auch bei Unternehmen und zwar häufig in Form einer kurzfristigen Gewinnorientierung zu Lasten einer langfristigen Wertsteigerung. Wenn beispielsweise finanzielle Anreize mit der Erreichung des gegenwärtigen Gewinns verknüpft sind, dann werden die handelnden Personen aller Voraussicht nach so agieren, dass der gegenwärtige Gewinn maximiert wird. Vor allem in großen Unternehmen werden Teilentscheidungen von dezentralen Managerinnen und Managern getroffen, die ihre Leistungsvereinbarungen und Zielkataloge vor Augen haben – eventuell verbunden mit der Aussicht auf Prämien, wenn sie die Ziele erreichen. Das könnte dazu führen, dass etwa Investitionen in technische Anlagen oder Schulungsmaßnahmen nicht durchgeführt werden. Investitionen sind aber für die langfristige Existenz und das Wachstum von Unternehmen notwendig.  Das ist ein klassisches Problem, das wir in der Unternehmenssteuerung mit Anreizsystemen haben.

Kleber: In der Sozialpsychologie wissen wir: Eine kurzfristige Änderung vom Verhalten geht oftmals nicht mit einer langfristigen Einstellungsänderung einher. Monetäre Anreize führen z. B. nicht dazu, dass wir Einstellungen verändern. Bekomme ich, wenn ich Strom spare, indem ich das Licht ausschalte, eine monetäre Belohnung, verändert das nur kurzfristig mein Verhalten. Etwas anderes könnte aber funktionieren: Werde ich dazu gebracht, eine teurere, weil nachhaltigere Glühbirne zu kaufen, tue ich etwas, das ich eigentlich nicht tun will, nämlich mehr Geld ausgeben. Diese Mehrausgabe muss ich dann vor mir selbst rechtfertigen, beispielsweise indem ich mir mein nachhaltiges Verhalten vor Augen führe. Das kann mir dabei helfen, meine Einstellung langfristig zu verändern.

Gäbe es auch Nudging-Potenzial an der Universität? Bestimmte Anreizmechanismen wie Förderungen, Anschubfinanzierungen oder ähnliches gibt es ja.

Gula: Ich sehe solche nicht nur in der Forschung, sondern beispielsweise auch in der Lehrabwicklung oder bei administrativen Fragen. Lassen sich einzelne Abläufe vielleicht einfacher und vorteilhafter für alle Beteiligten gestalten? Beispielsweise gibt es 3 Prüfungstermine bei Vorlesungen. Für Studierende ist es tendenziell vorteilhafter, den ersten Termin zu belegen. Gäbe es also vielleicht die Möglichkeit, dass alle per default zum ersten Termin angemeldet sind, mit der Option, sich abzumelden? Ich könnte mir jedenfalls gut vorstellen, dass es sinnvolle Nudges gibt, mit denen Verwaltungsaufwand eingespart werden könnte.


Zu den Personen

Bartosz Gula ist assoziierter Professor an der Abteilung für Allgemeine Psychologie und Kognitionsforschung. Er forscht unter anderem zum Themenkomplex Urteilen & Entscheiden sowie Kognitive Modellierung.

Janet Kleber ist Assistenzprofessorin an der Abteilung für Sozialpsychologie. Sie beschäftigt sich mit den Ursachen von prosozialen Verhalten (z.B. Spenden), den Einfluss numerischer Fähigkeiten auf Entscheidungen, und Themen der Konsumentenpsychologie.

Alexandra Rausch ist assoziierte Professorin an der Abteilung für Controlling und Strategische Unternehmensführung. Sie arbeitet zu betrieblichem Entscheidungsverhalten, Verhaltenssteuerung und Budgetierung.

An der Alpen-Adria-Universität geht ein Team von Forscherinnen und Forschern dem Urteilsvermögen nun auch fachübergreifend mit einem neuen Schwerpunkt zu „Judgment“ auf den Grund.

Janet Kleber, Alexandra Rausch & Bartosz Gula | Foto: aau/Müller