Unisex Toiletten | Foto: kentannenbaum46/Fotolia

„Die Geschlechterklasse brauchen wir nicht mehr, außer in Begehrensangelegenheiten. Und diese sind zutiefst privat.“

Die Fortschrittlichkeit im Umgang mit Menschen, die sich in den Kategorien Mann/Frau nicht einordnen können oder wollen, lässt sich am lebenspraktischen Beispiel von Unisex-Toiletten ablesen. Während diese in so manchem skandinavischen Land eine Selbstverständlichkeit sind, wurde deren Installation in öffentlichen Gebäuden kürzlich von Donald Trump wieder verboten. Universitäten wie die University of California, Berkeley halten dagegen. Die Argumente, warum an der Binarität der Geschlechter so unbedingt festgehalten werden müsse, sind häufig stark affektiv. Weltweit ist anzunehmen, dass rund 1,7 Prozent der Menschen intergeschlechtlich sind. Aktuell wurde hierzulande vom Verfassungsgerichtshof für das Personenstandsgesetz festgestellt, dass zwar die Eintragung des Geschlechts in Personenstandsregister und –urkunden nötig sei, dieses aber nicht auf männlich oder weiblich beschränkt sein dürfe. Der VfGH ließ dabei offen, wie das dritte Geschlecht zu bezeichnen ist. Wir haben mit Alice Pechriggl aus Anlass der Tagung „Gender in Transition“ darüber gesprochen, warum das Beharren auf die Zweigeschlechtlichkeit in vielen Bereichen so standhaft ist und warum sie trotzdem „Licht am Ende des Tunnels“ sieht.

Wie geht es den Menschen mit – an einer Stelle heißt es im Tagungsprogramm so treffend – „Variationen in der körperlichen Geschlechtsentwicklung“ hierzulande und heutzutage?

Ein Arzt hat vor der Tagung – und damit auch vor Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs – gesagt: „Wir befinden uns diesbezüglich immer noch im Mittelalter“. Und das nicht nur in Kärnten, sondern in Österreich. Im römischen Recht gab es tatsächlich eine Bezugnahme auf die damals als Hermaphroditen bezeichneten Menschen. Sie mussten auch damals wählen, welchem der beiden Geschlechter sie sich zuordnen, es war aber klar, dass das eine formale Angelegenheit ist, die nichts über ihren Körper aussagt. Im römischen Reich gab es also diese Bezugnahme im Recht, die im Mittelalter wieder verschwunden ist, weil es damals diese Menschen überhaupt nicht geben sollte. Jetzt erst taucht das Thema – auch in Verbindung mit der rechtlichen Frage – dort und da wieder auf. In Kanada gibt es beispielsweise nun das dritte Geschlecht, und in einigen skandinavischen Ländern oder in Argentinien ist man auch schon viel weiter. Im Grunde genommen gilt für mich: Es wäre schon längst an der Zeit gewesen, die Frage nach dem Geschlecht im Personenstand zu streichen. In meinem Reisepass steht ja auch nicht, welche Hautfarbe ich habe. Das österreichische Höchstgericht hat nun eine verfassungskonforme Gesetzesauslegung vorgegeben, und dabei betont, dass zwar das Geschlecht im Personenstandsregister eingetragen werden müsse, dies aber nicht auf männlich oder weiblich beschränkt sei, sondern ein dritter Begriff möglich wäre. Der Gesetzgeber müsse nun tätig werden.

Wie erklären Sie sich, dass die Geschlechterbinarität so schwer aufzugeben ist?

Ich versuche in meiner Forschung, die Geschlechterbinarität über die so genannten Herrschaftsverhältnisse zu verstehen. Wenn Geschlecht nur eine triviale biologische Kategorie wäre, hätten wir alle keine Probleme damit, aber es ist durchaus eine Herrschaftsklasse. Lacan hat sinngemäß gesagt: Der Phallus ist nicht der Penis, sondern der Phallus ist das Symbol der Macht. Wer einen Penis hat, hat das Zeichen, dieser Klasse anzugehören. Daraus lässt sich schließen: Wer dieses Zeichen der Zugehörigkeit zur mächtigen Klasse nicht hat, dem fehlt etwas. Oder der fehlt etwas. Die Macht- und Wertungsfrage scheint sehr wichtig. Das Aufhängen an Geschlechtsmerkmalen scheint der Sache eine Sicherheit bzw. Gewissheit zu geben, insbesondere für jene, die gerne binär einordnen, in für/wider, stark/schwach, gut/schlecht.

In welchen Gesellschaften gelingt es, diese Einordnung aufzugeben?

Eine egalitäre Haltung ist tatsächlich eher rar. In der athenischen Demokratie der Antike war die Geschlechterfrage recht liberal gehandhabt worden, obwohl die Frauen auch dort aus der Gesetzgebung und aus allen Gremien ausgeschlossen waren. Sie hatten überhaupt keine politische Macht, aber gesellschaftlich sehr wohl und Bisexualität bzw. Homosexualität war auf der Tagesordnung. In der Moderne ist das in den Demokratien wiederentdeckt und weitergeführt worden, vor allem nach der Französischen Revolution. Die Geschlechterfrage ist meines Erachtens auch affektiv so stark besetzt und mit Wertung verbunden, weil sie mit der Fortpflanzung und der Sexualität zusammenhängt. Diese beiden „Kristalle der Neurose“, oder manchmal auch der Psychose, sind wohl ausschlaggebend, zumal sie auch mit unserer Sterblichkeit zusammenhängen.

In der Populärkultur ernten Figuren wie Conchita Wurst breite Beliebtheit. Lässt sich diese Popularität als Symptom einer offeneren Gesellschaft lesen?

Ich glaube, dass die Popkultur nicht zu unterschätzen ist. Wenn etwas dort angelangt ist, kann man davon ausgehen, dass etwas wirklich auf eine breite Zustimmung stößt, und ich glaube, dass unsere politischen Eliten hinterherhinken. Ähnlich war es mit dem Recht auf Abtreibung, wo es noch immer Menschen gibt, die dagegen vorgehen. Bei diesen Themen geht es immer um Selbstbestimmung über den Körper. Die Körperlichkeit hat in der Diskriminierung einen hohen Stellenwert, das sehen wir an Rassismus, Sexismus, der Ausgrenzung von inter- und transgeschlechtlichen Menschen. In Summe haben wir gesehen, dass die Menschen mittlerweile in vielen Regionen dieser Welt eine sehr große Akzeptanz gegenüber dem Zusammenleben von gleichgeschlechtlichen Paaren haben. Vor 100 bis 200 Jahren war dies hierzulande noch ganz anders, und besonders im Nationalsozialismus war das Leben für Menschen, die nicht in die arischen Kategorien gepasst haben, eine einzige Katastrophe, ja unmöglich. Wenngleich die Situation global nicht überall gleich gut ist, sehe ich da wirklich Licht am Ende des Tunnels.  

Für die Tagung haben Sie auch mit dem Klinikum und dort zuständigen Ärzten zusammengearbeitet. Wie wird hierzulande medizinisch mit Intersexualität umgegangen?

Die Ärzte haben uns versichert, dass Operationen zum einen oder anderen Geschlecht bei Neugeborenen nicht mehr passieren, weil dies verboten ist. Ausnahmen gibt es, bei bestimmten Symptomatiken, bei denen schwerwiegende gesundheitliche Folgen auftreten können. Bis vor kurzem mussten die Eltern diese Kinder dann dem einen oder anderen Geschlecht zuordnen. Der Verfassungsgerichtshof hat nun zum Personenstandsregister eine weitreichende Entscheidung getroffen, die neben der Entscheidung für die Geschlechter weiblich/männlich nun eine dritte Option offenhalten soll.

Die Entscheidung für das eine oder andere Geschlecht zieht ja auch noch immer einen Rattenschwanz an weiteren Folgen nach sich, beispielsweise das Pensionsrecht betreffend.

Ja, aber da ist man gerade dabei, die Regelungen für Männer und Frauen anzugleichen. Schließlich wird alles in diese Richtung gehen, weil wir aufgrund des Geschlechts nicht diskriminiert werden dürfen. Die französische Sprache hat in dem Wort „discriminer“ die Ambivalenz beibehalten: es heißt dort nicht nur wertend unterscheiden, sondern schlichtweg unterscheiden, ein Unterscheiden, das aber im Fall der Geschlechtsmerkmale immer eine Ent/wertung nach sich ziehen zu müssen scheint. Aus meiner Perspektive sollten wir das Geschlecht gar nicht als Unterscheidungskriterium heranziehen, außer in Begehrensangelegenheiten. Und das ist eine zutiefst private Angelegenheit. Die Geschlechterkategorie als Zuordnungsklasse wird immer wieder aufs Neue instituiert und hernach erst naturalisiert; wir sagen aber: Eine Institution können wir auch ändern, weil sie durch uns gemacht ist. Ein Gesetz können wir ändern, weil es durch uns gemacht ist. Wir wollen hier in Kärnten nun – auch in Kooperation mit PsychotherapeutInnen –  gemeinsam etwas anstoßen; am Klinikum soll eine interdisziplinäre Genderambulanz aufgebaut werden, wir werden hier kooperieren, aus ethischer und geschlechteranthropologischer Perspektive, auch mit dem Mädchenzentrum Klagenfurt.

Verstehen Sie den Vorwurf, dass die Debatte um die Geschlechterbinarität, Inter- und Transsexualität das, wofür die Frauenbewegung lange gekämpft hat, in ein „exotisches“ Eck bringt? Wie ist das Verhältnis zwischen Feministinnen und Queer-ForscherInnen?

Jeder Einwand ist berechtigt, solange man in Diskussion bleibt. Ja, es gibt eine Verschiebung, aber die heute publizierten Studien in diesem Bereich nehmen trotzdem noch stark auf die Frauenbewegung Bezug. Wir haben da ja auch sehr viel erreicht. In den 1980er und 1990er Jahren gab es große Streitereien und häufig eine Ausgrenzung von inter- und transgeschlechtlichen Menschen in der feministischen Bewegung. Die Debatten waren häufig sehr kränkend. Aber da ist deutlich etwas weitergegangen, denken wir nur an den Christopher-Street-Day, der Ausgangspunkt für eine Bürgerbewegung war und daran erinnert, wie damals insbesondere Trans-Frauen gegen die Übergriffe der New Yorker Polizei aufgetreten sind. Dieser Widerstand und die darauffolgenden Emanzipations- und Bürgerrechtsbewegungen haben auch für die Kulturwissenschaften sehr viel bewegt. Wenn ich mein Fach, die philosophische Anthropologie, in den Blick nehme, kann ich sagen, dass die Kant’sche Frage „Was ist der Mensch?“ in Hinblick auf die Geschlechtlichkeit heute sehr viel differenzierter bearbeitet werden kann. Dazu hat es auch fruchtbaren Wissenstransfer zwischen Gesellschaft und Wissenschaft gegeben, und man hat heute vielerorts gelernt: Der Mensch ist eben nicht nur zweigeschlechtlich.

Zur Tagung

Am 7. und 8. Juni 2018 fand an der Alpen-Adria-Universität die Tagung „Gender in Transition“ in Kooperation zwischen Institut für Philosophie, Institut für Psychologie, Universitätszentrum für Frauen- und Geschlechterstudien, ÖH-Queer-Referat, Mädchenzentrum Klagenfurt und Klinikum Klagenfurt statt. Das Tagungsprogramm finden Sie unter https://www.aau.at/event/gender-in-transition/2018-06-08/.

Zur Person

Alice Pechriggl ist seit 2003 Professorin für Philosophie am Institut für Philosophie der Alpen-Adria-Universität. Sie war unter anderem Gastprofessorin an der Universität Paris I (Sorbonne), am interdisziplinären Gender Kolleg für Doktoratsstudien an der Universität Wien und am Institut d’Etudes Européennes an der Université Paris VIII (St. Denis). Ihre aktuellen Forschungsschwerpunkte sind philosophische Anthropologie, insbesondere Geschlechteranthropologie, Philosophie der Politik und Handlungstheorie, Gruppen-/Psychoanalyse und Gesellschaftstheorie. 2018 von ihr erschienen ist: Agieren und Handeln. Studien zu einer philosophisch-psychoanalytischen Handlungstheorie. Bielefeld: transcript-Verlag.

Alice Pechriggl | Foto: aau/Hoi