Die Beweglichkeit (an) der Grenze

Die Geschichte hat zahlreich bewiesen, dass Grenzen beweglich sind, aber auch zur Beweglichkeit und Flexibilität der Bewohnerinnen und Bewohner an der Grenze beitragen. Die Literaturwissenschaftlerin Angela Fabris interessiert sich für Erzählformen, Genres und Figuren, die Grenzen überschreiten.

Angela Fabris lebt an der Grenze – in Udine und Klagenfurt. Zuvor studierte sie in Triest, einer Stadt, die mit historischen und physischen Grenzen einen konstanten sowie kontinuierlichen Dialog geführt hat. Angela Fabris, die als Literaturwissenschaftlerin am Institut für Romanistik der Universität Klagenfurt forscht, fühlt sich in beiden Ländern zuhause. Das jeweilig andere wird nach längerer Zeit im Alltag häufig zum Sehnsuchtsort.

In ihrer Forschung interessiert sie sich vor allem für literarische Formen und filmische Genres, die die Grenze erleben und thematisieren. Dies wird auch anhand des Titels einer neuen Reihe deutlich, die sie mit einem Kollegen der Università von Udine gerade bei de Gruyter gestartet hat: Alpe Adria e dintorni. Letteratura e cinema di confine.

In den in dieser Reihe veröffentlichten Bänden analysieren Autorinnen und Autoren literarische und filmische Erzählungen aus der Alpen-Adria Region. Sie befassen sich mit den Beziehungen zwischen Grenze und Identität in einem Gebiet, in dem sich die Grenzen über die Zeit verschoben haben und das nach dem Fall der Habsburgermonarchie und dem Zweiten Weltkrieg zwischen Italien, Slowenien und Kroatien aufgeteilt wurde; ein Gebiet, das gleichzeitig auch durch „innere“ Grenzen zwischen verschiedenen Sprachen, Kulturen und Traditionen gekennzeichnet ist: „Menschen, die an der Grenze aufwachsen und leben, bleiben davon geprägt. Ihnen gemeinsam ist eine große Sensibilität für Grenzsituationen in ihrer Vielfalt.“

Angela Fabris’ Fokus liegt daher unter anderem auf Autorinnen und Autoren, die nicht nur politisch-geographische Grenzen thematisieren, sondern auch das Eigene und das Fremde ausloten und sich mit der eigenen Identität im alltäglichen Handeln beschäftigen. Das Material, mit dem Fabris in ihrem Forschungsalltag arbeitet, ist die literarische und filmische Sprache. Im Italienischen sind es besonders Texte aus dem 18. Jahrhundert, beispielsweise die Moralwochenschrift Gazzetta Veneta, die der venezianische Graf Gasparo Gozzi 1760 und 1761 wöchentlich veröffentlichte. Auch die aktuellen Formen der Erzählliteratur werden von ihr beforscht, insbesondere die theoretische Frage nach der Mittelmeerliteratur (an der sie zusammen mit Forscherinnen und Forschern aus Deutschland, Frankreich, Österreich, Italien und den USA arbeitet). Eines ihrer neuesten Forschungsgebiete, das auch eine Grenzform thematisiert, ist die filmische Darstellung des Zusammenlebens von Menschen und Künstlichen Intelligenzen. Erörtert wird dabei die Frage, welche Vorteile und Chancen, aber auch welche Gefahren und Konfliktpotenziale in der Interaktion zwischen Menschen und Androiden prophezeit werden können.

Angela Fabris arbeitet aber nicht nur forschend „an der Grenze“, sie unterstützt die Universität Klagenfurt auch bei ihrem Bestreben, organisatorisch Grenzen zu überschreiten. Beispielsweise werden derzeit mehrere Kooperationsprojekte, unter anderem ein gemeinsames Doktoratsstudium in der Italianistik mit der Università Ca’Foscari Venezia angebahnt. „Das Interesse von Studierenden an Double-Degree-Programmen ist hoch. Mit Ca’Foscari Venezia werden DoktorandInnen gemeinsam betreut, die damit Einblick in die unterschiedlichen Lern- und Forschungskulturen bekommen. Nicht nur das: Sie werden eines der drei vorgesehenen Jahre des Doktoratsstudiums an der Partner-Universität verbringen. Auf diese Weise wird ihre Forschung von dem gemeinsamen Einsatz verschiedener Forschungsformen und von der Betreuung durch DozentInnen beider Universitäten profitieren. In diesem Sinne gewinnt die Kooperation mit Ca’Foscari Venezia eine strategische Bedeutung im Rahmen der Forschung, die die Studierenden beider Universitäten nutzen können.“ Große Hoffnung legt Angela Fabris auf die heute Studierenden, die vielfach aufgeschlossener sind, mehrsprachig und grenzüberschreitend zu studieren. Kulturelle Vielfalt als Reichtum zu begreifen, ist durch unsere Vorstellungskraft möglich. Barrieren und Grenzen gelte es deshalb zu kennen, verstehen und überwinden, so die Forscherin.

für ad astra: Romy Müller