Die andere Renaissance: internationales Forschungsprojekt „Antiklassizismen im Cinquecento“ gestartet

Die italienische Literatur des 16. Jahrhunderts ist durch den Rückgriff auf antike und volkssprachliche Modelle geprägt, denen eine maßgebliche Vorbildfunktion zugesprochen wird. Dieser Tendenz stehen Texte aus derselben Zeit gegenüber, die gegen den vorherrschenden Klassizismus opponieren. Im Zuge einer deutsch-österreichischen Forschungskooperation, an der auch die Romanistische Literaturwissenschaft (Susanne Friede, Aina Sandrini) der Universität Klagenfurt beteiligt ist, soll erstmals eine umfassende Untersuchung und Systematisierung antiklassizistischer Literatur des Cinquecento vorgenommen werden.

Die italienische Literatur des 16. Jahrhunderts kennzeichnen Rückbezüge auf die als vorbildhaft verstandene antike wie auch auf die ‚klassische‘ italienische Literatur des 14. Jahrhunderts. Die normierende Bewegung, die sich durch diese Autorisierung von Poetiken, Texten und Autoren ergibt, hat man in der Forschung unter dem Begriff Renaissance-Klassizismus zusammengefasst. „Eigentlich erscheint jedoch eine plurale Auffassung von Renaissance-Klassizismen angemessener zu sein, denn sie ermöglicht es, eine Unterscheidung nach den jeweils angesetzten antiken oder volkssprachlichen Bezugsgrößen und nach gattungsspezifischen Normen vorzunehmen“, erklärt Susanne Friede, die das Projekt in Klagenfurt leitet.

„Die in der literatur- und kulturhistorischen Darstellung und auch in der Forschung vorherrschende Konzentration auf die klassizistische Ausrichtung der italienischen Cinquecento-Literatur ist jedoch nicht unproblematisch“, stellt sie weiter fest. Sie ignoriere nämlich die Tatsache, dass es gleichzeitig ebenso starke literarische Tendenzen gibt, diesem ‚klassizistischen‘ Rückbezug zu widersprechen, ihn zu unterlaufen, zu vermeiden, zu parodieren oder anderwärtig außer Kraft zu setzen. Entsprechend der Vielgestaltigkeit der Klassizismen würden sich auch diese Destabilisierungen und Gegenbewegungen in ein Feld von unterschiedlichen Antiklassizismen auffächern.

Im von deutschen und österreichischen ForscherInnen getragenen Projekt Antiklassizismen im Cinquecento soll erstmals die gesamte Skala der Antiklassizismen untersucht und in ihrer Reichweite und Funktionsweise systematisch beschrieben werden. Dies geschieht durch breit angelegte typologische Fallstudien, die sich auf unterschiedliche Textgattungen beziehen. Idealisierende, nivellierende und normierende Vereinheitlichungen, wie sie nicht nur die moderne Literaturgeschichtsschreibung prägen, werden so korrigiert. Ein wichtiges Ziel des Projekts ist die Veröffentlichung eines Konzeptbands zu Antiklassizismen des Cinquecento, der sowohl in Printform als auch als Open-Access-Publikation zur Verfügung stehen soll. Auch eine Verbindung zur Forschungsplattform The Exercise of Judgment wird angestrebt: Geplant sind Veröffentlichungen, die Untersuchungsgegenstände des Projekts in Hinsicht auf die Themen von (nicht nur) ästhetischen Urteilsbildungsprozessen und die Inszenierung von Urteilskraft perspektivieren sollen.

Das von Oktober 2018 bis September 2021 laufende Projekt wird durch eine enge Zusammenarbeit aus einem Team von deutschen und österreichischen Italianistinnen und Italianisten getragen: Marc Föcking (Universität Hamburg), Susanne Friede (Universität Klagenfurt), Florian Mehltretter und Angela Oster (beide Ludwig-Maximilians-Universität München). Dabei handelt es sich um eine internationale Kooperation, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und vom Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) finanziert wird. Im Zuge des Projekts werden NachwuchswissenschaftlerInnen durch Promotionsstellen gefördert.