„Den inneren Schweinehund gibt es nicht.“
Der Jänner ist Prüfungszeit, und damit für viele eine herausfordernde Phase, in der sie vor ihren Büchern und Laptops um einzelne Fünkchen Motivation ringen. Irina Andreitz, Senior Scientist am Institut für Unterrichts- und Schulentwicklung, bietet seit Jahren Lehrveranstaltungen zu Motivation – vorrangig für Lehramtsstudierende – an. Aus der Motivationspsychologie, einem ihrer Forschungsschwerpunkte, sei klar: Langfristig bringe es nichts, gegen einen vermeintlichen inneren Schweinehund anzukämpfen, der einen davon abhält, sich an den Schreibtisch zu setzen und zu lernen oder endlich die Steuererklärung zu erledigen. Im Interview spricht die Psychologin darüber, welche Ansätze lohnend sein können, um langfristig motivierter zu sein.
Ist Motivation etwas Schicksalsgegebenes – vorhanden oder nicht vorhanden?
So kann man Motivation zweifelsohne diskutieren – unabhängig von der Art des gewünschten Handelns, sei es das Lernen oder das Geschirrabwaschen. Es gibt viel oder wenig Motivation, es gibt genug und zu wenig Motivation. In der Motivationspsychologie interessieren wir uns darüber hinaus aber auch für die Qualität von Motivation. Wollen wir uns darum bemühen, motivierter zu sein, müssen wir hinterfragen, welche Art von Motivation uns langfristig zum gewünschten Handeln animiert.
Welche Qualitäten von Motivation gibt es?
Viele Menschen beschreiben, dass sie erst unter Druck arbeiten und lange Aufgeschobenes erledigen können. Schon hier muss man sich fragen: Woher rührt der Druck? Gibt es eine Abgabefrist, die mich zum Schreiben einer Seminararbeit oder zum Ausfüllen der Steuererklärung zwingt? Oder gibt es einen Druck, der von mir selbst ausgeht? Natürlich gibt es auch positiv konnotierte Treiber, die nichts mit einem Gefühl von Druck zu tun haben: Mache ich etwas, weil es mir Freude macht? Oder mache ich es, weil ich weiß, dass es wichtig ist, um für mich wichtige Ziele zu erreichen?
Warum ist es wichtig, sich mit der Qualität der eigenen Motivation auseinander zu setzen?
Die Art der Motivation hat häufig Auswirkungen darauf, ob ich ins Handeln kommen kann und damit auch in dem von mir intendierten Sinne erfolgreich bin. Aus der Forschung wissen wir zum Beispiel, dass Menschen, die sich vor einer negativen Note fürchten oder sich einen Urlaub als Belohnung nach der bestandenen Prüfung in Aussicht stellen, zwar kurzfristig motivierter sein können, ihr Verhalten aber langfristig nicht aufrechterhalten können. Wenn also nur die Angst vor Bestrafung oder die Aussicht auf Belohnung motiviert, wird die Motivation abflauen, wenn Angst oder Vorfreude wegfallen.
„Zuerst die Arbeit, dann das Vergnügen“ ist also kein passendes Motto, oder?
Es gibt Menschen, für die dieses Motto gut funktioniert. Gleichzeitig bringt es aber jenen Personen, die wichtige Aufgaben aufschieben, obwohl sie eigentlich Zeit und Gelegenheit zum Erledigen haben, nichts. Eine Studentin hat das in ihrer Reflexion im Rahmen einer meiner Lehrveranstaltungen folgendermaßen auf den Punkt gebracht: „Ich habe versucht, mich irgendwie zu belohnen, wenn ich eine Aufgabe frühzeitig erledige (hilft nicht, die Belohnung ist nie attraktiv genug und ich bin skrupellos genug, mich bei Nichteinhalten trotzdem zu belohnen)“. Und hier wird es sowohl theoretisch wie auch praktisch interessant: Wie können wir uns motivieren, wenn die Aussicht auf eine Belohnung nicht ausreicht?
Kehren wir nochmals zum Druck zurück, den viele brauchen, um sich beispielsweise endlich auf eine Prüfung vorzubereiten oder die Seminararbeit zu einem bestimmten Termin abzugeben. Kann dieser Druck tatsächlich nützlich sein?
Dafür muss man ganz individuell in Frage stellen: Wie belastet bin ich durch den Druck, der von einem zeitnahen Prüfungstermin oder einer Abgabefrist ausgeht? Kann ich mitunter nicht mehr schlafen, nicht mehr essen, bekomme ich einen Tunnelblick? Leidet die Qualität meiner Arbeit dadurch, dass ich nur noch wenig Zeit zur Verfügung habe? Es gibt Menschen, die bewusst in Kauf nehmen, unter Stressbedingungen arbeiten zu müssen. Andere hingegen finden sich gegen ihren Willen in ihrem Leben wiederholt in solchen Situationen wieder. Für sie kann es sich dann lohnen, etwas dagegen zu unternehmen.
Muss man sich nicht einfach die Zeit besser einteilen und ein paar Tricks anwenden, um erfolgreich zu sein?
Es stimmt, Motivation ist nicht alleine ausschlaggebend dafür, ob man die eigenen Ziele erreicht. Auch andere Arten der Selbststeuerungsfähigkeit sind entscheidend. Nehmen wir das Beispiel einer Seminararbeit, die schon länger darauf wartet, geschrieben zu werden. Angesichts dessen kann man emotional überwältigt und verzweifelt sein und sich in der Folge abwenden, statt daran zu arbeiten. Zur Selbstregulation gehört, dass man in der Lage ist, mit solchen Gefühlen umzugehen. Daneben gibt es auch Gedanken, die blockieren oder stärken. „Ich kann ja sowieso nichts.“, „Ich war schon immer schlecht beim Schreiben von solchen Arbeiten.“, „Das hat schon meine Mutter gesagt.“ oder „Ich habe kein Talent dafür.“ sind wenig hilfreich. Bei jenen, die gerne aufschieben, gibt es auch häufig so genannte erlaubniserteilende Gedanken: „Ich mache diese Aufgabe heute nicht zu Ende, dafür stehe ich morgen um 4:00 Uhr auf und erledige das Doppelte.“ Auch das passiert dann häufig nicht.
Das Universalrezept für mehr Motivation scheint es also nicht zu geben?
Nein, es kommt sehr stark darauf an, in welcher Weise die Person herausgefordert ist. Oft wird das Problem auf das Zeitmanagement oder Arbeitstechniken reduziert. Viele haben damit aber gar kein Problem. Dann lohnt es sich, genau zu ergründen, wo das Problem beheimatet ist. Was führt bei mir dazu, dass ich Aufgaben aufschiebe? Habe ich mit negativen Gedanken zu kämpfen? Habe ich das Gefühl, die Langeweile von bestimmten Aufgaben nicht aushalten zu können? Habe ich Angst, zu versagen? Wichtig ist auch, sich mit der Frage zu beschäftigen: Was motiviert mich?
Was hat es mit dem inneren Schweinehund auf sich, den man gemeinhin besiegen soll?
Den inneren Schweinehund gibt es nicht. Und wir müssen ihn erst recht weder bekämpfen noch besiegen. Das ist mir sehr wichtig zu betonen. Es geht nicht darum, dass wir etwas in uns haben, das wir bekämpfen müssen, damit wir endlich einer Vorstellung davon entsprechen, was wir als erfolgreich definieren. Kurzfristig kann der Zugang funktionieren, aber langfristig dient er weder dem Erreichen unserer Ziele und schon gar nicht unserem psychischen Wohlbefinden. Stattdessen geht es viel eher darum herauszufinden, was den Anteil in mir ausmacht, der sich nicht aufraffen kann, der immer wieder aufschiebt, der sich ängstigt, der demotivierende Gedanken auslöst. Wenn man den vermeintlich vorhandenen Schweinehund bekämpfen oder überlisten möchte, drängt er sich noch viel stärker ins Bewusstsein. Interessanter und zielführender ist es zu fragen, für welche Bedürfnisse dieser Anteil in mir steht.
Ist es tatsächlich so, dass es offensichtlich motivierte Personen so viel einfacher im Leben haben?
Dazu haben wir in meiner Lehrveranstaltung zu Prokrastination eine interessante Erfahrung gemacht. In diesem Kurs gab es entgegen meiner Erwartungen nicht nur Aufschieber:innen, sondern auch Nicht-Aufschieber:innen und Alles-Gleich-Erlediger:innen. Wir haben es dann mit einem Perspektivenwechsel versucht. Die Alles-Gleich-Erlediger:innen sollten in einer Gruppe ihre Arbeitsprozesse definieren und beschreiben. Als diese Studierenden dann ihre Erkenntnisse gegenüber den Aufschieber:innen präsentierten, schilderten sie, dass sie eigentlich unter einem starken Druck stehen. Sie würden ihre eigenen inneren Antreiber, die sie motivieren, auch als belastend erleben. Für die zuhörenden Aufschieber:innen war das interessant zu hören. Viele von ihnen hatten nämlich wiederum daran geglaubt, dass es so etwas wie einen heiligen Gral gebe, der einen, einmal gefunden, in ein motivationales Himmelreich manövrieren würde. Wenn es mir nur gelingen würde, mich dorthin zu entwickeln, würde mir alles leicht von der Hand gehen. Ein Irrtum, wie sich herausstellte. Von dem Perspektivenwechsel haben letztlich alle profitiert.
Wie steht es um das Erkennen von Sinn in dem, was ich tue? Kann mir das helfen?
Sinn ist eine heiße Spur. Bei Aktivitäten, die per se Spaß machen und Freude bringen oder die mir persönlich sehr wichtig sind, kommt es ja zu keinen Motivationsproblemen. Interessant wird es da, wo ich mit Aufgaben konfrontiert bin, deren Sinn sich mir nicht sofort erschließt. Wir alle müssen immer wieder Dinge erledigen, an denen wir keine Freude haben, sei es die Seminararbeit, die Steuererklärung oder der Abwasch. Hier sind wir mit der Frage konfrontiert: Wie kann ich es schaffen, diese Arbeiten trotzdem zu erledigen? Und: Wie kann ich mit jenen inneren Anteilen, die sich dagegen sträuben, so umgehen, dass ich sie würdige, sie mir aber nicht ständig im Weg stehen?
Zur Person
Irina Andreitz ist Senior Scientist am Institut für Unterrichts- und Schulentwicklung. Ihr Forschungsschwerpunkte sind Motivationspsychologie, Bildungsforschung sowie Beratung. Im kommenden Sommersemester bietet sie wieder das im Interview angesprochene Seminar „Aufschieben adé: Strategien gegen Prokrastination im Lehramtsstudium“ an.