Bildungsdiskussion mit Konrad Krainer für ad astrar

Bildungsdiskussion: „Teamkultur in den Schulen stärken“

Bildungsexperte Konrad Krainer erklärt im Gespräch mit ad astra, was sich am österreichischen Bildungssystem ändern sollte. Er empfiehlt eine gezieltere Förderung aller Schülerinnen und Schüler, eine vertiefte Zusammenarbeit an den Schulen und ein stärkeres Berücksichtigen von Bildungsforschung durch Schulpolitik und Praxis. Doch das Bildungssystem verändert sich sehr langsam, die Auswirkungen zeigen sich erst viel später.

Herr Krainer, die Wirtschaft beschwert sich über schlecht ausgebildete Schulabgänger und Schulabgängerinnen. Die Universitäten ringen um gute Studierende. Die Statistiken zeigen, dass Schülerinnen und Schüler teilweise Schwächen in den Grundkompetenzen haben. Was stimmt hier nicht in Österreich, im viertreichsten Land der EU?

Das lässt sich sehr schwer in ein paar Sätzen zusammenfassen, man muss das gesamte System betrachten, angefangen bei der gesellschaftlichen Komponente. Wie oft hört man in Österreich: In Mathematik und Naturwissenschaften war ich nie gut, und trotzdem ist etwas aus mir geworden. Dies würde in Asien nicht laut ausgesprochen werden, in einem Land, wo die Wissenschaften einen sehr hohen Stellenwert haben. Miteinher geht die Frage nach den Rahmenbedingungen für das schulische Lernen. Österreich hat zum Beispiel in der Volksschule deutlich weniger Mathematikstunden als die meisten Nachbarländer und über zehn Prozent weniger als im EU-Schnitt. In Österreich gibt es an den Schulen zwar viele gute einzelne Ideen, aber es fehlt oft an gemeinsamen Konzepten und Reflexionen.

Das finnische Schulsystem gilt als weltweit führend – nicht zuletzt wegen der wiederholten Spitzenplätze bei den PISA-Studien. Was machen sie besser?

Ein Grund dafür liegt in einem anderen gesellschaftlichen Grundverständnis. Kein Kind wird im Schulsystem zurückgelassen, man zeigt Verantwortung für jedes einzelne Kind. Bei uns wird zu früh in Neue Mittelschule und Gymnasium getrennt, viele Eltern drängen ihre Kinder ins Gymnasium. Wenn es dort nicht funktioniert, so kommt es in die Neue Mittelschule, wenn es dort Probleme hat, wird es wieder weitergereicht. Dementgegen werden Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit in Finnland besonders großgeschrieben. In Finnland erfolgt der Unterricht in ganztägiger Schulform und in Wohnnähe. Nicht zu unterschätzen ist auch der Status der Lehrenden. Es geht nicht immer um monetäre Leistungen, sondern den finnischen Lehrenden wird traditionell eine große Wertschätzung, Respekt und Zutrauen entgegengebracht.

In Österreich wird die ganztägige Schulform nur sehr langsam eingeführt. Warum?

Derzeit gibt es unterschiedliche Modelle von Vormittagsunterricht, nachmittags Lern- und Freizeitbetreuung – so wie in einem Hort – oder der verschränkte Unterricht mit wechselnden Lern-, Unterrichts- und Freizeitphasen. Diese verschränkte Form halte ich für zielführend. Schule allgemein müsste ganz neu gedacht werden, zum Beispiel als Bildungszentrum für die Region. Es gibt keine strikte Trennung zwischen Vormittag und Nachmittag, sondern ein Gesamtkonzept, das sich nicht nur auf das Lernen der Kinder und Jugendlichen beschränkt. Für eine konsequente Umsetzung solcher Konzepte müsste die Infrastruktur an den Schulen angepasst werden.

Sie sind Mitautor beim Nationalen Bildungsbericht in Österreich. Was läuft gut?

Allein die Existenz des Nationalen Bildungsberichts seit 2009 ist ein Erfolg. Es gibt vermehrt Daten über das Bildungssystem, darauf aufbauend wissenschaftsbasierte Analysen und Empfehlungen. Im Bereich der Fachdidaktik hat es eine wichtige Aufwärtsbewegung durch IMST und die PädagogInnenbildung NEU gegeben. Die Universitäten und die Pädagogischen Hochschulen kooperieren nun in Entwicklungsverbünden und haben sich auf ein einheitliches Curriculum bei der Ausbildung von Lehrenden geeinigt. Auch in der Weiterbildung wird vermehrt kooperiert. Die neuen Bildungsdirektionen sind eine Chance.

Wo gehört nachgeschärft?

Die größte Herausforderung für die Lehrkräfte ist die innere Differenzierung und Individualisierung. Meist geht es darum, die individuellen Begabungen, Fähigkeiten und Interessen der Schüler und Schülerinnen zu erkennen und dementsprechend zu handeln. Das Wissen, wo und welche Probleme die Schülerinnen und Schüler haben, ist hier zentral. Das passiert noch zu wenig. Ich sehe eine Lösung in der Stärkung der Teamkultur in den Schulen und in einer Kultur des Miteinander- Ausredens.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Lernerfolg der Schüler und Schülerinnen und den Kompetenzen des Lehrenden?

Natürlich. Früher hat es immer geheißen, Lehrende müssen gut vortragen und die Schülerinnen und Schüler müssen üben, üben, üben. Das ist aber nicht die Lösung. Internationale Studien zeigen, dass in Österreich die Grundrechnungsarten bzw. die Routinekompetenzen recht gut beherrscht werden, es mangelt aber beim Begründen, selbstständigen Denken und beim Argumentieren. Hinsichtlich der Kompetenzen der Lehrenden werden Fachwissen, pädagogisches Wissen und fachdidaktisches Wissen als relevant angesehen. Studien zeigen, dass das fachdidaktische Wissen der Lehrenden die größte Auswirkung auf das Lernen der SchülerInnen hat. Dabei wird beispielsweise in der Mathematik identifiziert, welche typischen Fehler die Schülerinnen und Schüler machen und welche wirksamen Unterstützungsmöglichkeiten es gibt.

 Dann liegt der Erfolg auch in der Art des Unterrichtens.

Ja. Mehr kreative und komplexe Aufgaben sollen die Schüler und Schülerinnen zum Nachdenken anregen. Im Unterricht ist es sinnvoll, ihnen mehr Gelegenheit zum Denken, Diskutieren und Argumentieren zu geben. Sie sollen dazu herangeführt werden, in der Mathematik verschiedene Lösungswege zu finden, sich mit diesen sowohl in Einzelarbeit als auch in der Gruppe auseinanderzusetzen. Für die Schülerinnen und Schüler ist es wichtig, laufend Feedback über ihren Lernfortschritt zu bekommen.

Gilt daher der Frontalunterricht als Auslaufmodell?

Frontalunterricht ist keineswegs schlecht, aber wie jede Monokultur wirkt auch ein Frontalunterricht nicht nachhaltig, nur die Mischung macht es aus.

Thema Schulautonomie. Ist es gut, dass Direktorinnen und Direktoren die volle Personalhoheit erhalten?

Im Prinzip geht das in die richtige Richtung, dass Schulleitungen bei Anstellungen selbst entscheiden können und ihnen mehr Rechte zugesprochen werden. Manche wären bereits jetzt schon auf diese Managementaufgabe bestens vorbereitet, einige würden es mit Unterstützung gut meistern, andere haben schon mit der Nutzung von bereits vorhandenen Freiräumen Probleme. Ich würde vermehrte Autonomie stufenweise einführen: In strategischer Planung erfolgreiche Schulen sollten vorher erweiterte Spielräume erhalten.

 Was wünschen Sie sich für die Bildungspolitik?

Dass mehr über Bildungspolitik diskutiert wird und dass sich alle Beteiligten aktiv einbringen und sich gegenseitig ernst- und wahrnehmen. Gemeinsames Ziel ist es, den Schülerinnen und Schülern zu helfen, ihren Weg zu finden.

für ad astra: Lydia Krömer

Zur Person

Konrad Krainer ist Universitätsprofessor für Didaktik der Weiterbildung mit besonderer Berücksichtigung von Schulentwicklung am Institut für Unterrichts- und Schulentwicklung und zudem Dekan der Fakultät für Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung. Er forscht zur Mathematikdidaktik und LehrerInnenbildung mit Fokus auf Unterrichts-, Schul- und Bildungssystementwicklung.

Krainer Konrad | Foto: aau/photo riccio