Riccardo Krampl | Foto: Barbara Maier

Berlin: Da ist das Buffet reichlich gedeckt!

Im Gespräch erzählt der aus dem Kärntner Lavanttal stammende Psychoanalytiker Riccardo Krampl vom Arbeiten und Leben in seiner Wahlheimatstadt Berlin. Dorthin ist er 2010 nach dem Studium der Pädagogik und Psychologie an der Alpen-Adria-Universität hingezogen. Und mit ihm Bilder aus Kärnten.

Die Gemeinschaftsordination des angehenden Psychoanalytikers Riccardo Krampl liegt in einem außen schmucklosen, innen schönen Altbau in Berlin Schöneberg. Krampls Raum ist spartanisch mit grauen und braunen Möbeln der 1950er und -60er Jahre eingerichtet: ein Sofa, ein Tischchen, ein Sekretär, zwei Stühle und einige Kunstdrucke. Wenn Kinder kommen, wird umgebaut. Malsachen und Spiele verstecken sich in einem Wandschrank hinter einer vermeintlichen Durchgangstür. Die Flügeltüren  werden geöffnet, ein Servierwagen wird hereingeschoben und der kleine Tisch vorgerückt. So verwandelt sich der Raum in ein Kinder(therapie)zimmer. Für den Analytiker ist dieses klassische Analyse-Setting wichtig. Er möchte die Umgebung möglichst  nüchtern und in einer feinen, farblichen Abstimmung haben, weil es beruhigend wirke. Dabei ist nichts dem Zufall überlassen. Neben einem schönen weißen Kachelofen lehnt eine Landschaft von Giselbert Hoke, eine Reprise zu einem von den Eltern erhaltenen Katalog des Malers der Klagenfurter Bahnhofsfresken. Zentral im Raum hängt eine originalgroße Reproduktion der „Gelben Stadt“ von Egon Schiele: „Ein unvollendetes Bild, so wie die Psychoanalyse, die ist auch nie ganz fertig“, sagt Riccardo  Krampl, der die Schiele-Serie von Krumau-Bildern sehr schätzt. Sein Lieblingsmaler aber ist Werner Berg. Neben einem Originalholzschnitt von Berg zeigt ein Ölbild (als Reprint) einen lauschenden Mann in einem Zugabteil. Als Therapeut sitze er unter  diesem Bild am Kopfende der Couch und lausche – so wie Bergs „Mann im Coupé“ – den Erzählungen der Patient*innen, sagt Krampl.

Warum haben Sie Berlin als Ausbildungsort gewählt?

Das sind die Möglichkeiten, die Berlin bietet. Mir war nach dem Studium der Psychologie an der AAU ziemlich klar, dass ich mich zum Analytiker ausbilden lassen werde, obwohl ich dann einige Jahre in einem SOS-Kinderdorf arbeitete. Nach Berlin ging  ich erst 2010. In Österreich gibt es auch die Ausbildung, doch die Möglichkeiten sind begrenzt. In Berlin gibt es zwei Dutzend psychoanalytische Ausbildungsstätten sowie die international führende Charité und die IPU, die Internationale Psychoanalyse Universität. Da ist das Buffet reichlich gedeckt! Das war eine wichtige Motivation für den Ortswechsel.

Sie hätten aber auch in Österreich bleiben können?

Ja, Wien und Graz standen schon zur Diskussion, doch gereizt hat mich aber auch der Kulturaustausch Österreich-Deutschland.

Wie unterscheidet sich die analytische Ausbildung zwischen Österreich und Berlin?

In Deutschland gibt es die Psychoanalyse (PA) auf Kassenschein. Die PA besitzt hier einen klassischen klinischeren Zugang, in Österreich kommt stärker ein kultureller dazu. Möglicherweise durch Freuds Erbe, doch hier ist es schon sehr an das klinische Setting gebunden, an Klinik überhaupt. Hier dürfen nur Ärzt*innen und Psycholog*innen die Ausbildung machen, in Österreich können auch andere Berufsgruppen über ein Propädeutikum eine Ausbildung erhalten. Damit ist die PA automatisch weniger klinisch orientiert. Ich bin in der Ausbildung ziemlich weit und behandle auch schon. Ziel ist ein Kassensitz als selbstständige Arbeit. Daneben möchte ich aber auch weiter in der Klinik tätig sein, da ich gerne im Team arbeite. Als Analytiker arbeitet man allein in einer Zweierbeziehung mit einem Patienten.

Wer sind Ihre Klientinnen und Klienten?

Ich behandle hier Kinder, Jugendliche und Erwachsene und mache parallel zwei Fachrichtungen: die analytische Kinder- und Jugendlichenausbildung und die Ausbildung zum Psychoanalytiker. Das ist nebeneinander möglich, aber natürlich sehr aufwendig und anspruchsvoll.

Was macht man nach einem Arbeitstag in Berlin?

Baden! An einem der vielen Seen in Berlin oder Umgebung. Der nächste See ist von der Wohnung nur zehn Minuten entfernt. In Brandenburg ist man in 20 Minuten mit dem Auto bei klaren Badeseen. Ich mag es, dass man – wie am Wörthersee – auch die Zehen im Wasser sehen kann.

Besuchen Sie auch Museen?

Oft und gerne. Es gibt einen Museums-Jahrespass für alle öffentlichen Museen zu einem sehr günstigen Preis. Das Neue Museum ist besonders zu empfehlen. Das ist im 2. Weltkrieg ziemlich stark beschädigt worden. Es befindet sich auf der Ostseite der Museumsinsel. Man hat es in den DDR-Zeiten nicht wieder aufgebaut, sondern so belassen. David Chipperfield hat es nach 1997 mit allen Narben wieder aufgebaut, ohne es zu rekonstruieren. Man sieht, wo es beschädigt war und wo die alte Substanz ist.  Das finde ich als Symbol für Kultur interessant. Man sieht den Verfall der Kultur. Daran kann man gut sehen, wie fragil eigentlich Kultur ist, wie schnell man Kultur zerstören kann. Dieses Haus symbolisiert diesen Kulturverfall auf eindringliche Weise. Momentan verfolgt Berlin sonst ja den Trend der Rekonstruktion. Es bleibt nur eine geschönte Fassade. Beim Stadtschloss etwa, innen wird das Humboldt-Forum eingerichtet.

Sie sind in Kärnten geboren und aufgewachsen. Soll nun Berlin der Lebensmittelpunkt bleiben?

Ja, so ist es geplant. Ich wohne hier sehr schön, die Praxis in Schönefeld ist gut gelegen, ich fühle mich hier ausgesprochen wohl. Aber es hat lange Zeit gebraucht, bis ich hier heimisch wurde. Kärnten war in meinem Träumen sehr lange Zeit sehr präsent. Es dauerte, bis so ein inneres Bild von Berlin entstanden ist, das sich jetzt gut anfühlt. Es hat Qualität.

Wie lässt sich Berlin beschreiben?

Es ist wunderbar grün, im Sommer mit den Seen herrlich. Es wird immer ein bisschen improvisiert, das mag ich aber. Manchmal ist die Stadt rau und aggressiv. Das kann auch gut tun. Es ist eine ständige Bewegung in ihr, und zwar eine Bewegung nach vorne. Das entspricht mir. Berlin ändert sich ständig. Das Kapital ist wieder zurück, die Wohnungen sind knapp. Das gehört zu einer wachsenden Stadt aber dazu.

Was macht die Berliner und Berlinerinnen aus?

Man sagt, jeder Berliner habe Migrationshintergrund. Es gibt deshalb hier ein anderes Verständnis für Migration.

Gibt es noch ein Ost- und ein Westberlin?

Bei vielen Menschen ist dies schon noch spürbar. Meine Partnerin ist in der DDR geboren. Bei der Wende war sie vier Jahre alt. Sie wurde noch nach dem Bild Sozialismus, also östlich, sozialisiert. Doch in der nächsten Generation wird das verschwunden sein. Die Berliner sind für ihre Offenheit bekannt. Die Berliner sind weniger verhalten. Man steht bei einer Ampel, und in diesem Moment kann sich gleich ein Gespräch ergeben. Das erinnert auch etwas an den eher offenen Umgang in Kärnten.

für ad astra: Theresa Rimmele