Group of Canadian geese flying in V-formation over sunburst

Auf der Suche nach dem perfekten Team

Theoretiker, die in mathematischen Modellen Prozesse abbilden, um Optimierungspotenziale zu identifizieren, schöpfen mitunter aus überraschenden Inspirationsquellen. Paul Schweinzer hat mit ad astra über Naturphänomene und ökonomische Modelle gesprochen.

Auf Paul Schweinzers Bildschirm bewegt sich ein Hai lautlos durch das dunkle Wasser. Haie sind Knorpelfische und haben keine Schwimmblasen; sie müssen sich stets bewegen, um nicht abzusinken. Tatsächlich kann man aber beobachten, dass der Hai im YouTube-Video zwischen aktiven Schwimmphasen regelmäßige Ruhepausen einlegt. Daraus ergibt sich ein Muster des beschleunigten Auf- und sanften Absteigens, der Aktivität und der Ruhe.

Schweinzer nimmt Beobachtungen dieser Art und überträgt sie auf menschliches Verhalten. Manche Erkenntnisse, ein Individuum betreffend, können auf Teams umgelegt werden. Andere entfalten erst bei der Betrachtung von Gruppenprozessen ihre volle Wirkung, da Faktoren wie Konkurrenz, Qualifikationsgrad oder Bezahlung auch eine Rolle spielen. Komplexe Prozesse werden in Schweinzers Forschungstätigkeit in kompakte Modelle übersetzt und analytisch gelöst. Am Ende einer Reihe von Tests und Adjustierungen steht im Idealfall eine aussagekräftige Formel, die als Grundlage für einen mathematischen Beweis dient und mitunter nützliche Erkenntnisse für die Praxis liefern kann.

„Ein typisches Phänomen bei Teams ist der Trittbrettfahrereffekt“, sagt Paul Schweinzer, Professor am Institut für Volkswirtschaftslehre. Wenn man eine Publikation von mehreren Co-Autorinnen betrachtet, ist der tatsächliche Beitrag der einzelnen Teamspieler und Teamspielerinnen oft schwer bestimmbar. Sie produzieren ihren gemeinsamen Output, indem sie einzelne, nicht unbedingt greifbare Leistungen erbringen. Während alle das Ergebnis zu gleichen Teilen genießen, werden die Kosten individuell getragen und können sehr uneinheitlich verteilt sein.

Einen weiteren Teameffekt beschreibt laut Paul Schweinzer das Apollo-Syndrom. Ende der 1970er Jahre vom Management- Theoretiker Meredith Belbin bei Managementspielen beobachtet, identifiziert der Begriff ein Phänomen in der Teamzusammensetzung. Gruppen, die aus hochqualifizierten Menschen bestehen, erzielen mitunter schlechtere Resultate als Teams mit gemischten Qualifikationsprofilen. Gemeinsam mit seinem Forschungskollegen Alex Gershkov aus Jerusalem untersucht Schweinzer, welche Selektionsmechanismen dazu beitragen, die Fehleranfälligkeit bei Entscheidungsprozessen zu minimieren. Sie fragen beispielsweise, welche Bedeutung die Kenntnis über den Tageszustand der Teammitglieder für die Selektion hat, und sie testen, welche Auswirkungen sich ergeben, wenn Menschen sehr ähnliche oder sehr unterschiedliche Qualifikationsprofile haben.

Untersuchungen zur Produktivität
In einem Beispiel mit zwei Teammitgliedern (z. B. Pilot und Kopilot) erzählt Schweinzer, dass die modellierte Produktivität des Piloten im Zeitverlauf abnimmt, während der Kopilot sich ausruht und somit ansteigende potenzielle Produktivität verzeichnet. Die Teamleitung erreicht nach erster intensiver Aktivität einen Ermüdungszustand, der mit sinkendem gemeinsamen Output einhergeht. Dies ist ein geeigneter Zeitpunkt, um eine ausgeruhte Person an die Stelle der Teamleitung zu setzen: Im theoretischen Modell ergibt sich durch die so genannte leadership rotation eine ansteigende Teamproduktivitätskurve, da die Teamleitung nicht einfach an die Person mit der formell besten Qualifikation geht, sondern an die stets in Summe besser geeignete Person. Doch geben Führungskräfte in der realen Welt – egal mit welchem Grad der Erschöpfung sie kämpfen – im Regelfall weder die Funktion noch das damit verbundene höhere Entgelt auf. Und dies kann mitunter zu Ineffizienzen führen.

Was wir von Gänsen lernen können
An dieser Problemstellung wird eifrig geforscht, denn die potenziellen Vorteile einer Rotation der Teamleitung und einer sorgfältigen Teamkomposition lassen sich anhand eines weiteren Beispiels aus der Tierwelt gut erläutern. Paul Schweinzer erklärt dazu: Wenn Gänse im Spätherbst in den Süden ziehen, nehmen sie die bekannte Keilformation ein. Der Winkelflug erleichtert Zugvögeln in mehrfacher Hinsicht die strapaziöse Reise: Durch die Verteilung auf eine V-Form können sie untereinander besser kommunizieren, ihre Flügelschläge synchronisieren, Sichtkontakt zueinander halten und somit ihre eigene Position bestimmen und Kollisionen vermeiden. Die größte Anstrengung nimmt die Leitgans auf sich, denn sie verbraucht in ihrer Position an der Keilspitze wesentlich mehr Energie. Weniger erschöpfte Gänse rotieren in regelmäßigen Abständen in die Führungsposition und halten somit das aerodynamische Gefüge über lange Flugstrecken stabil.

Was theoretische Berechnungen bereits im Jahr 1970 vermuten ließen, konnte ein internationales Forschungsteam um Steven Portugal von der University of London im Jahr 2014 an lebenden Zugvögeln nachweisen: Das aerodynamisch optimierte Fliegen in Formation spart viel Energie, die Vögel können kooperativ deutlich längere Strecken zurücklegen als Einzelflieger.

Empfehlungen für eine moderne Arbeitswelt
Zurück zum Haifisch und seinen Aktivitäts- und Ruhephasen: Paul Schweinzer erzählt von der MIT-Absolventin, Spieltheoretikerin und Weltbank-Ökonomin Maya Eden, deren Bekanntschaft er vor etwa zehn Jahren gemacht hat, als sie sich in der gleichen Fußnote begegnet sind. Maya Eden beschäftigt sich unter anderem mit der optimierten Koordination von Produktion und stellt in diesem Zusammenhang so manche bahnbrechende Idee zur Diskussion. So untersuchte sie etwa anhand eines aggregierten Modells, das sie mit großen Mengen an Produktivitätsdaten kalibrierte, die möglichen Auswirkungen einer grundlegenden Änderung der traditionellen Arbeitswoche. Sie identifizierte potenzielle Verbesserungen im Wohlbefinden und in der Produktivität von Arbeitskräften.

Aus Studien geht hervor, dass eine lange Arbeitswoche zu Ermüdungs- und Belastungseffekten führen kann, die als Produktivitätsverluste sichtbar werden. Gleichzeitig wird vermutet, dass regelmäßige längere Abwesenheiten im Laufe der Zeit zum langsameren Aufbau oder gar zur Erosion von arbeitsrelevanten Kompetenzen beitragen. Laut Eden könnte hier mit einer Neustrukturierung Abhilfe geschaffen werden, etwa mit einem 3-1-Muster, bei dem auf drei Arbeitstage ein Ruhetag folgt, anstatt dem gewohnten 5-2-Rhythmus.

Mit diesen und ähnlichen kreativen Ideen reichern Schweinzer und seine Kolleginnen und Kollegen ihre Modelle an und lassen dazu spannende Beobachtungen aus der Natur in ihre Betrachtungen zur Zusammenstellung und Funktion von Teams einfließen.

für ad astra: Karen Meehan

Zur Person

Paul Schweinzer ist seit August 2015 Universitätsprofessor für Mikroökonomik am Institut für Volkswirtschaftslehre der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften. Er studierte Volkswirtschaftslehre an der Universität Wien und an der London School of Economics. Seine wissenschaftliche Tätigkeit führte den Forscher an die Universitäten Bonn und Manchester sowie zuletzt an die Universität York. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen Mechanism Design, Spieltheorie, Vertragstheorie und Mikroökonomie.